Dana von Suffrins Debütroman “Otto” (Kiepenheuer und Witsch) ist einer meiner literarischen Favoriten des vergangenen Jahres. Die Hauptfigur des Romans ist der pensionierte Ingenieur jüdischer Herkunft Otto. Die beiden Töchter Timna und Babi sind nun für sich im fortgeschrittenen Alter befindenden Vater das Zentrum seiner Welt. Ein Familienpatriarch, der seine Töchter schon immer tyrannisiert hat?…
Category: Allgemein
Wilder Ritt durch Zaporoschje: „Puschkins Erben“ von Svetlana Lavochkina
von Annika Grützner „Puschkin mit uns, Dickens mit denen!“ lautet der Leitspruch der Einwohner des ukrainischen Zaporoschjes. Durch jenes verschlafene Dorf reiste Puschkin angeblich im Jahr 1820 auf dem Weg in seine Verbannung, verlor hier einen wertvollen Ring und schwängerte die Frau eines Gastwirtes. 150 Jahre später springen wir in die Zeit des Kalten Krieges…
Exil in der Heimat — ukrainisches Nachkriegstrauma in Atlantis
Der Spielfilm Atlantis (2019) von dem ukrainischen Regisseur Valentyn Vasyanovych gewinnt auf dem 76. Internationalen Filmfestival von Venedig den Hauptpreis der Sektion Orizzonti als Bester Spielfilm. Der Tag der Auszeichnung ist zufällig der, an dem ein anderer ukrainischer Filmregisseur – Oleg Sentsov – im Rahmen eines Gefangenenaustauschs aus russischer Haft entlassen wird. Der Filmtitel Atlantis lässt…
Vom Fährtenlesen der Momente – Vladimíra Valová über das Wesen der Kurzgeschichte
Vladimíra Valová wurde 1978 in Třebíč, der Tschechischen Republik, geboren und arbeitet dort als Buchhändlerin. Ab 2009 schrieb sie Kurzgeschichten, von denen einige im Host-Magazin veröffentlicht wurden und arbeitete als Redakteurin einer Regionalzeitung. Im Jahr 2017 veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichtensammlung, die 2018 unter dem Titel „Ins Landesinnere“ von Christina Frankenberg übersetzt wurde, und in der…
Eine belanglose Suche nach Schuld: “Borotmokmedi” (The Criminal Man) von Dimitri Mamulia
Der Spielfilm Borotmokmedi (The Criminal Man) von dem georgischen Regisseur Dimitri Mamulia feierte auf dem diesjährigen 76. Internationalen Filmfestival von Venedig in der Sektion Orizzonti seine Weltpremiere. Das Leben in der Provinz des 28-jährigen Ingenieurs Giorgi Meskhi (Giorgi Petriaschwili) scheint eintönig und unspektakulär zu sein – bis zu dem Tag, als er Zeuge am Mord…
Das Lob des intimen Kenners: László Földéniy und die Melancholie
László Földéniys „Lob der Melancholie“ (Matthes & Seitz) ist eine verschriftlichte Quintessenz menschlicher Auseinandersetzungsstrategien über die eigenen unüberwindbaren Existenzgrenzen, die zwischen einem liebevollen Portrait und einem persönlichen Reiseführer changiert. von Amanda Beser László Földéniy ist nicht nur ein enthusiastischer Kulturtheoretiker, sondern auch ein neugieriger Weltenbummler. Die ‚Rätsel dieser Erde‘ führten ihn zur Melancholie. In seinem neu…
Oleg Senzow ist frei!!! Wir lesen seine Geschichten
Oleg Senzow ist ein ukrainischer Filmemacher und Autor und seit 2014 bis vor Kurzem in russischer Haft wegen der angeblichen Planung von terroristischen Handlungen. Senzow, der sich bei der Maidanbewegung sehr aktiv engagiert hat, sagte zu Beginn seines Prozesses: „Der Maidan war das Wichtigste, was ich in meinem Leben geleistet habe“. Seit Jahren führten seine…
Zeitpanorama eines Hauses: „Der süße Betrug des Lebens“ von Sándor Zsigmond Papp
von Annika Grützner „Sein Vater hatte immer gesagt, ein gutes Haus sei wie eine Glucke, es schare immer die Bewohner um sich, die zu ihm passten.“ Sándor Zsigmond Papps „Der süße Betrug des Lebens“ (Heyne Encore) ist die Geschichte eines Hauses und die seiner Bewohner in einer rumänisch-ungarischen Stadt. Es ist die Geschichte einer Wohnung,…
Spurensuche um Brods und Kafkas Erbe: „Kafkas letzter Prozess“ von Benjamin Balint
von Annika Grützner Es ist wohl so gut wie unmöglich, über Max Brod zu sprechen, ohne auch seinen berühmten Freund Franz Kafka einzubeziehen. Beide verband zeitlebens nicht nur die Literatur, sondern auch ihre Vorstellungen vom Judentum, dem Zionismus und ihrer eigenen Identität in Prag. War Brod als Lebemann bekannt, steht an Kafkas Stelle das Bild eines…
‘Was soll man mit einer solchen Familie anfangen?’ „Das Blut ist blau“ von Undinė Radzevičiūtė
Familienstreit. Damit fängt es an. Tante und Mutter streiten sich. Mutters Tochter Undinė interessiere sich nicht für die Geschichte der eigenen Familie, sagt die Tante. Das stimmt eigentlich, aber um den Streit zu schlichten, vertieft sich Undinėin ihren Stammbaum. Gleich zu Beginn ihrer Ahnensuche macht Undinė eine schockierende Entdeckung – Ihre blaublütigen Verwandten, so viel…