von Annika Grützner
Es ist wohl so gut wie unmöglich, über Max Brod zu sprechen, ohne auch seinen berühmten Freund Franz Kafka einzubeziehen. Beide verband zeitlebens nicht nur die Literatur, sondern auch ihre Vorstellungen vom Judentum, dem Zionismus und ihrer eigenen Identität in Prag. War Brod als Lebemann bekannt, steht an Kafkas Stelle das Bild eines zurückhaltenden, von Unsicherheiten geplagten Mannes, unterschiedlicher hätten die beiden nicht sein können. Für Brod war sein bester Freund ein literarisches Genie, dessen Schaffen er fördern und veröffentlichen wollte. So ist es kein Wunder – und ein Glück für uns –, dass Brod entgegen dem Willen Kafkas, seine Werke nach dem Tod zu verbrennen, diese behielt, jedes Schriftstück penibel einsammelte und die Texte 1939 auf seine Flucht nach Palästina mitnahm. Wieso genau diese Sammlung plus die Tagebücher, Briefe, Zeichnungen und Geschichten von Max Brod Jahrzehnte später für einen beispiellosen Rechtsstreit in Israel sorgten, damit befasst sich der amerikanisch-israelische Journalist Benjamin Balint in seinem Sachbuch „Kafkas letzter Prozess“ (Berenberg).
Die Israelin Eva Hoffe lebte in Tel Aviv inmitten einer sorgsam verschlossenen Bibliothek, die das Lebenswerk Max Brods und das Vermächtnis ihrer verstorbenen Mutter Ester darstellte. Neben unzähligen Originaldokumenten befanden sich in ihrem Zuhause und in verschiedenen Schließfächern in der Schweiz auch die vielen Geschichten von Max Brod und Franz Kafka, u. a. „Der Prozess“, die Max Brod seiner guten Freundin Ester teilweise schenkte und ihr nach seinem Tod in seinem Testament vermachte. Jahrzehnte später soll das Gericht klären, wem dieses ganz besondere Erbe nun zusteht, denn Eva Hoffe weigerte sich beharrlich, die Texte zugänglich zu machen und plädierte auf ihr Bestimmungsrecht als Alleinerbin. Benjamin Balint folgt in seinem Buch den Spuren des Prozesses und den damit verbundenen Fragen, wo Max Brod und natürlich insbesondere Franz Kafka als deutschsprachige, jüdische Schriftsteller aus Prag sowohl geografisch als auch kulturell zu verorten sind. Ist es legitim, sie als deutsche Autoren zu bezeichnen und ihre Werke als Mittelpunkt in Deutschland zu verwahren? In einem Land, dessen Ideologie ihren Tod forderte/gefordert hätte und ihre Werke auf die Liste der verbotenen Bücher setzte? Sind sie jüdische Autorin, die ihre Werke zentral aus religiösen Überlegungen verfassten? Oder gehören sie am Ende doch in ihre Geburtsstadt Prag? Im Buch findet sich keine genaue Antwort auf diese Fragen, verschiedenen Perspektiven umrahmen den spannenden Prozess, der erst 2016 mit dem Urteil endete, Eva Hoffe ihr Erbe zu entziehen und alle Texe und Schriften an die israelische Nationalbibliothek zu übergeben, um sie nach und nach endlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Benjamin Balints „Kafkas letzter Prozess“ ist ein etwas sprunghafter, aber interessanter Bericht über die Fragen, wem Literatur gehört und ob es einen allgemeinen Anspruch darauf geben kann. Sachlich zeigt er die Ursprünge und Folgen dieses Gerichtskrimis um den Nachlass Max Brods, der passenderweise fast schon kafkaesk und unwirklich erscheint.
Weiterführende Artikel zu den bisher unveröffentlichten Zeichnungen Kafkas:
„Kafkas unveröffentlichte Zeichnungen“, Jüdische Allgemeine am 7.8.
„Kafka als Zeichner“, NZZ am 23.8.19
- Gebundene Ausgabe: 336 Seiten, 25 € (D)
- Verlag: Berenberg Verlag GmbH; Auflage: 1 (12. Februar 2019)
- Übersetzung: Anne Emmert
- ISBN-13: 978-3946334484