Zwei Schriftstellerinnen, zwei Geschichten, zwei Verfolgte

Zwei Schriftstellerinnen, ein Jahrhundert und zwei Geschichten geprägt von Verfolgung und dem Gefühl des Eingesperrt-Seins. Ljudmila Petruschewskaja beschreibt in „Das Mädchen aus dem Hotel Metropol“ die Anfänge ihres Lebens bis in die ersten Berufsjahre als Journalistin in Moskau, die Rumänin Kristiane Kondrat hingegen beschäftigt sich in ihrem Roman „Abstufung dreier Nuancen von Grau“ mit der permanenten Angst derer, die nicht ins System passen.

von Annika Grützner

An die Grenze denkt man nur, solange man sie vor sich hat. Jenseits der Grenze aber beginnt die Suche nach immer neuen Grenzen, um nicht verlorengehen zu müssen.“

kondrat_coverAus Angst vor dem Regime schmuggelte die preisgekrönte, in Deutschland lebende Autorin Kristiane Kondrat ihre Geschichte „Abstufung dreier Nuancen von Grau“ (danubebooks) in den 70er Jahren über die rumänische Grenze. Die Geschichte, die mit einer namenlosen Ich-Erzählerin beginnt, die aus einem Krankenhaus flieht, gerät immer mehr in einen Kampf mit der Vergangenheit, in einen Kampf mit stillen Schatten, die die junge Frau verfolgen, Gegenständen, die in ihrer Wohnung verschoben werden und Freunden, die plötzlich verschwinden. Die Protagonistin hat kein Zuhause mehr, wenn überhaupt ist es das Bett inmitten des Frauentraktes. Sie lebt in einer Zwischenwelt aus Erinnerungen und einer vagen Zukunft, in einem Land, das sie weggesperrt hat, weil sie nicht das tut und sagt, was man von ihr erwartet. Auch Kondrat wurde verfolgt, durfte ihre Gedichte und Geschichten in ihrem Heimatland nicht veröffentlichen. „Abstufung dreier Nuancen von Grau“ ist so wahrscheinlich auch ein sehr persönliches Werk der Autorin, gespickt von den eigenen Erinnerungen und Gefühlen. Am Ende bleibt die Farbe grau – als Symbolfarbe für die Trostlosigkeit, Einsamkeit und Hilflosigkeit.


 

Eine Mutter brachte ihr Mädchen in ein Sanatorium für unterernährte Kinder und fuhr wieder weg. Das Mädchen war ich, ein zwölfjähriges Ding.“

81-IwYxJjQL„Das Mädchen aus dem Hotel Metropol“, das ist die Journalistin Ljudmila Petruschewskaja, die zu einer der bedeutendsten russischen Gegenwartsautorinnen gehört. In ihrem autobiografischen Roman, auf Deutsch erschienen bei Schöffling & Co., beschreibt sie den Kampf des Erwachsenwerdens in einer Welt, in der sie ein Kind von Volksfeinden ist. 1938 im majestätischen Hotel am Kreml geboren, ist der Fall ein tiefer. Bis in ihre Jugend hinein lebt Petruschewskaja gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Tante und ihrem Großvater in den verschiedensten Behausungen, immer als Außenseiterin, unterernährt und verspottet. Ljudmila ist ein Wildfang, reißt aus und geht betteln. Mehrere Male wird sie von ihrer Familie in Kinderheime und Freizeiteinrichtungen für arme Kinder gesteckt, legt sich mit den Lehrern und Mitschülern an. Diese Jahre machen sie stark, obwohl sie das Mädchen ist, das nicht dazugehört. In ihrer Jugend entdeckt sie die Liebe zur Literatur, doch auch hier passt ihre Leidenschaft nicht ins Konzept, wenn der Russischlehrer beispielsweise der Verordnung folgt, nur sowjetische Literatur zu lehren und die großen Meister des Landes auslässt. Petruschewskaja hat mit „Das Mädchen aus dem Hotel Metropol“ ein Werk geschaffen, das einen intimen und eindrücklichen Blick auf ihr Leben wirft.

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