Vom Fährtenlesen der Momente – Vladimíra Valová über das Wesen der Kurzgeschichte


9783990293348Vladimíra Valová wurde 1978 in Třebíč, der Tschechischen Republik, geboren und arbeitet dort als Buchhändlerin. Ab 2009 schrieb sie Kurzgeschichten, von denen einige im
Host-Magazin veröffentlicht wurden und arbeitete als Redakteurin einer Regionalzeitung. Im Jahr 2017 veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichtensammlung, die 2018 unter dem Titel „Ins Landesinnere“ von Christina Frankenberg übersetzt wurde, und in der Reihe „Tschechische Auslese“ im Wieser Verlag erschien.
„Ins Landesinnere“ ist Teil der Reihe „Tschechische Auslese“. Hierbei handelt es sich um ein gemeinsames Editionsprojekt des tschechischen Verlages Větrné mlýny und des österreichischen Wieser Verlags, die zum Anlass des Gastlandauftritts der Tschechischen Republik auf der Leipziger Buchmesse im März 2019 herausgegeben wurde. Vladimíra Valová ist eine von zehn Autor*innen, darunter u.a. Jiří Hájíček und Petra Soukupová, deren Werk im Zuge dieser Publikation ins Deutsche übersetzt wurde.
Mit uns spricht sie über das Wesen von Kurzgeschichten.

K.H.: Frau Valová, ihr Buch „Ins Landesinnere“, ist ein Kurzgeschichtenband. Würden Sie sagen, dass Kurzgeschichten es derzeit schwerer haben als Romane?

Valová: Nach zehn Jahren als Buchhändlerin kann ich bestätigen, dass Autor*innen von Kurzgeschichten größere Schwierigkeiten haben, auf dem tschechischen Buchmarkt zu bestehen, als Romanautor*innen. Persönlich kann ich das nicht nachvollziehen. Glücklicherweise gibt es natürlich auch Leser*innen, die erkennen, was für Meisterwerke beispielsweise die Werke von Jan Balabán oder Alice Munro sind. Nur weil eine Geschichte aus zwanzig Seiten besteht und nicht aus zweihundert, wird sie nicht zur minderwertigen Literatur.

K.H.: Wo sehen Sie Kurzgeschichten im Vorteil gegenüber Romanen?

Valová: Ich bin eine Beobachterin und Fährtenleserin von Momenten, Sätzen und flüchtigen Bildern. Sie faszinieren mich, weil sie wichtige und bereichernde Elemente des so banal erscheinenden alltäglichen Lebens sind. In einem Roman kämen sie zu kurz. Für mich fühlt es sich natürlicher an, Kurzgeschichten zu schreiben. Das habe ich nie bewusst entschieden oder hinterfragt.

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(c) Vladimíra Valová

K.H.: Haben Sie bestimmte literarische Vorbilder?

Valová: Ich glaube nicht, dass ich eingefahrene literarische Muster habe. Eher Vorbilder, die mich inspirieren und mir die verschiedenen Möglichlichkeiten des Schreibens aufzeigen.

K.H.: Ihre Prosa wird immer wieder als „existentialistisch“ beschrieben. Was halten Sie davon?

Valová: Warum nicht :).

K.H.: In Ihren Geschichten spielt die Institution Famile immer wieder eine wichtige Rolle. Können Sie uns erzählen, warum diesses Thema Ihnen so wichtig ist?

Valová: Familie ist ein solch wichtiges Thema für jeden von uns, ob wir es uns eingestehen oder nicht. Sie prägt uns, formt die Untiefen unserer Persönlichkeit und bestimmt, wie wir mit den Dingen des Lebens umgehen. Wir versuchen unermüdlich, uns ihrer zu befreien. Und dann laufen wir wieder auf sie zu, auf der Suche nach Schutz und Trost. Es ist ein immer währendes Paradox.

K.H.: Stille ist ein wiederkehrendes Motiv in Ihren Erzählungen. Gehört sie zwangsläufig zur Welt der Familie?

Valová: Absolut. The unterdrückende Stille auf einer Familienfeier oder beim sonntäglichen Mittagessen… ist das nicht schon ein Roman? Oder besser eine Kurzgeschichte?

K.H.: Sind Sie manchmal überrascht, wohin Ihr Schreiben Sie führt?

Valová: Ja! Wenn ich schreibe, kommt manchmal ein derartiges Glücksgefühl über mich, dass ich nicht länger auf meinem Stuhl sitzen bleiben kann. Dann springe ich im Zimmer herum. Und manchmal fühlt es sich an, als wäre das Schreiben eines der wenigen Dinge, die in meinem Leben einen Sinn ergeben.

Das Interview wurde von Katharina Haase geführt.

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