von Natalia Prüfer
Wioletta Greg (polnischer Name Grzegorzewska) beschreibt sich selbst als Mutter, Schriftstellerin und Emigrantin. Seit 2006 wohnt sie nicht mehr in Polen, sondern in Großbritannien und stand hier mit ihrem Roman „Unreife Früchte“ (C.H. Beck) auf der Man Booker International Longlist 2017. Der neue Roman „Die Untermieterin“ ist eine Fortsetzung der Geschichte um die junge Wiolka und voll mit autobiografischen Motiven.
In „Die Untermieterin“ ist Wiolka neunzehn Jahre alt und verlässt ihr kleines Heimatdorf Hektary, um in einer Stadt im Süden Polens zu studieren. Das „unreife, sensible Mädchen voller Komplexe“ will aber nicht nur lernen, sondern vor allem einen Mann wiederfinden, in den sie sich verliebt hat. Dieser ist viel älter, aber liebevoll und das Gefühl zwischen den beiden ist zärtlich und leidenschaftlich – mit „Herrn Kamil“ fühlt Wiolka sich sicher und attraktiv. Doch lange kann sie ihren Geliebten nicht finden und so folgen wir ihr von Unterkunft zu Unterkunft, getrieben von Sehnsucht und dem Wunsch nach Zugehörigkeit. Erst landet Wiolka in einem schmutzigen und verwahrlosten Arbeiterhotel, dann im Kloster mit einer dementen Oberin und am Ende in einer kleinen Einzimmerwohnung. Alle Wohnungsorte tragen unterschiedliche Menschengeschichten und Schicksale, die Wiolka emotional treffen. In „Die Untermieterin“ sind die eigentlichen Hauptfiguren die Nachbarn, die Schwestern aus dem Kloster, die Oberin, die Studenten, die Mitbewohner oder auch einfach nur die Fußgänger, deren Geschichten, Erinnerungen und Hobbys Wioletta Greg beschreibt. Nicht immer haben sie Verbindung zur Handlung, was manchmal während der Lektüre stören kann.
Das Buch ist voll von Ressentiments (zum Beispiel über die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs). Eine große Rolle spielt dabei auch die Stadt Tschenstochau, der nach Katowice zweitgrößten Stadt der Woiwodschaft Schlesiens und die in Polen eine große Bedeutung in der Wirtschaft und in der Religion innehat, so ist der Berg Jasna Góra in der Nähe der Stadt einer der wichtigsten Wallfahrtsorte der römisch-katholischen Kirche. Im Roman ist Tschenstochau eine graue, depressive Stadt, in der Armut herrscht und in der aus Protest neue Gruppierungen wie zum Beispiel Skinheads entstehen.
Hervorragend beschreibt Wioletta Greg die Zeit der polnischen Transformation aus der Sicht der jungen Gesellschaft zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Geprägt vom Wandel der 90er-Jahre schauen die Jugendlichen nach Westen, nach neuen Perspektiven und versuchen im Prozess der Veränderung ihren Platz zu finden. Doch was fehlt, ist das Geld, sind die Jobs für sie, um sich die neuen Produkte in den Supermärkten leisten und die neue Freiheit ausnutzen zu können. Viele bleiben zurück – zwischen Sauerkraut und Schnaps in einem armen Polen.
Obwohl viele Rezensenten den Roman humorvoll finden, erschien er für mich eher melancholisch und traurig. Das Leben von Wiolka, egal ob auf dem Land oder in der Stadt, ist geprägt und geleitet voll von Verurteilen, Hindernissen und problematischen Bekanntschaften. Als ein junges Mädchen aus dem Dorf, scheint sich ihr Leben nicht verbessern zu können, unabhängig vom politischen System oder ihrem Wohnort. Der polnische Hintergrund ist grau, depressiv und hart. Die Transformation des Landes ist ein mühsamer Prozess, genauso wie die Pubertät. Und so passt ein Zitat Wiolkas aus dem Roman wohl am besten, um diese Stimmung wiederzugeben:
„Ist das alles wirklich passiert? In den drei Jahren, seit dem Tag, an dem ich am Bahnhof ausstieg, habe ich wie eine Puppe in ihrer Hülle gelebt; ich bin mit meinem Koffer durch die Welt gezogen und habe anderen erlaubt, eine Rolle für mich zu wählen, mich zu dirigieren und die Richtung der Weiterreise zu bestimmen.“
- Gebundene Ausgabe: 153 Seiten
- Verlag: C.H. Beck Verlag; München 2019
- Übersetzung: Renate Schmidgall
- ISBN-13: 978-3-406-74085-5