Tagebuch der Identität: Rodica Draghincescus „Die Fee der Teufel“

51UyYCzVIvLEin Schloss nahe Stuttgart, in dem auch Schiller zeitweilig lebte, eine einsame rumänische Autorin und ein Telefon, das niemals still zu stehen scheint: Rodica Draghincescus „Die Fee der Teufel“ (KLAK Verlag) ist ein turbulenter und teils autobiografischer Tagebuchroman. Es fehlt schwer, das Buch zusammenzufassen, denn hat man erst einmal den Zugang zum Text gefunden (oder glaubt, dies erreicht zu haben), sind Draghincescus Einträge ein vielfältiger Haufen an kurzen Gedanken, ausgedachten Szenen und Erinnerungen, die teilweise überfordern können. Auch das alltägliche Leben auf dem Schloss Solitude, das ihr als Literaturstipendiatin ein Jahr lang ein zu Hause sein wird, ist nicht unbedingt die kreative Erholung, die man sich vorstellen mag: „12 Monate Stipendium, der erste und einzige Urlaub meines Lebens! Schreiben und jammern. Haufenweise Zeit. Und was mache ich jetzt, hier, daraus?Soll ich schreiben, wenn man mir sagt, ich solle schreiben?“

Ein Jahr Deutschland, weit weg von der Familie und den Freunden. In ihrem Zimmer arbeitet Draghincescu unter einem Poster von Schiller, mit dem sie sich in Tagträumen verliert. Echte Gesellschaft leisten ihr weitere Stipendiaten und die vielen (teils wirren) Briefe und Anrufe, die sie von befreundeten Literaten oder Fans erhält. Großes Thema ist auch immer wieder die Heimat. Die Lage Rumäniens und das Leben dort beurteilt die Autorin zwar mit großer räumlicher Distanz, wird aber dennoch, trotz Negativbilds, von großer Sehnsucht geplagt: „Ich habe Heimweh nach dem von Korruption, Armut und Verzweiflung und Gier zerfressenen Land. Wenn ich es im deutschen Fernsehen mal sehe, fange ich an zu weinen! Ich schäme mich nicht dafür, wo ich her bin.“

Besonders genervt ist sie von den deutschen Snobs, die sie scheinbar bemitleiden, sobald sie erzählt, woher sie kommt. Das Tagebuch und die vielen Telefonate werden so zu inneren und äußeren Monologen, wenn Draghincescu über ihre Identität als rumänische Autorin mit Schreibblockade sinniert.

In Rumänien wird sich nie was ändern… Die Rumänen in Rumänien? Die werden nie über ihr eigenes Leben entscheiden, die haben immer Angst und Hunger und Durst, die senken die Köpfe und ihre Taschen sind leer.“

„Die Fee der Teufel“ wird in den vielen, vielen Absätzen zu einem interessanten Bestandsbericht der Autorin. Oft verlieren sich die Texte aber in Inhalten, die den Leser aus dem Lesefluss reißen können. Es ist nun einmal keine Biografie und auch kein Roman, den man hier vor sich hat. So hat Draghincescu mit ihrem Tagebuch die ehrlichste, aber auch komplizierte Veröffentlichungsform gewählt und gibt einen ganz persönlichen Einblick in ihre Gedanken und Gefühlswelt. In Rumänien gilt die 1962 geborene Autorin durch diesen modernen Erzählstil als „Fahnenträgerin ihrer Generation 90“.

  • Taschenbuch: 340 Seiten, 16,90 € (D)
  • Verlag: KLAK Verlag (12. März 2018)
  • Übersetzung: Eva Ruth Wemme
  • ISBN-13: 978-3943767919

Annika

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