Looking for myself: Spielfilmdebüt „Looking for Venera“ von Norika Sefa

Wie weit kommt man als junge Frau in einem post-kriegerischen patriarchalen Land auf der Suche nach dem wahren Ich? Diese Frage stellt die kosovarische Regisseurin Norika Sefa in ihrem „coming-of-age“ – Spielfilmdebüt „Looking for Venera“ (Nё kёrkim tё Venerёs, 2021).

„Ich habe meine Eltern nie beim Küssen gesehen“, – sagt Venera zu ihrer besten Freundin Dorina. „Warum willst Du sie denn dabei sehen, ist doch total widerlich“, – bekommt sie zur Antwort, während die beiden Teenagerinnen durch ihre kleine Heimatstadt im Kosovo fahren. So stellt uns der Film die beiden Protagonistinnen vor, und sein Thema: „Nё kёrkim tё Venerёs“ handelt von der emotionalen Brache in einer Nachkriegslandschaft.

Gerahmt von großen Themen wie Patriarchat oder Krieg, fokussiert die kosovarische Regisseurin Norika Sefa auf den Prozess des Erwachsenwerdens eines Mädchens. Der Film ist ein Resultat langjähriger Arbeit. Sefa schrieb an dem Drehbuch mehr als zwei Jahre und die gesamte Arbeit an dem Film nahm fast fünf Jahre in Anspruch. Fast alle Darsteller_Innen sind keine professionellen Schauspieler_Innen. Das Casting dauerte sehr lange, vor allem die Suche nach Venera verzögerte den Drehanfang. Offensichtlich hat es sich für die Regisseurin gelohnt – „Looking for Venera“ wurde beim Filmfestival in Rotterdam aufgeführt und erhielt dort den special jury award. Außerdem debütierte Norika Sefa mit ihrem Werk beim 31. FilmFestival Cottbus, der Film lief in der Sektion Wettbewerb Spielfilm.

Im Mittelpunkt von Sefas Drama steht ein schüchternes Mädchen namens Venera. Sie lebt in einer kleinen post-kriegerischen Stadt in Kosovo. Die stark traditionelle, fast schon patriarchale Gesellschaft lässt den Mädchen ihres Alters nicht viel Freiheit. Venera sucht ständig nach Möglichkeiten, sich selbst auszudrücken, doch ihre Versuche werden durch ihren autoritären Vater verhindert. Die einzige Person, die Venera ein anderes freieres Leben zeigt (und es auch lebt) ist ihre beste Freundin und Schulkameradin Dorina.

Venera erlebt gemeinsam mit ihrer Freundin alle ersten Male: Sie betrinkt sich im Club, schwänzt die Schule und verliebt sich in einen älteren Mann. Dies beeinflusst ihre Beziehung zum Vater, der die ganze Familie unter strenger Kontrolle hält. Norika Sefa betonte im Filmgespräch, dass die Figur des Vaters für sie kein „bad guy“ ist. Ihrer Meinung nach weiß er – genauso wie die meisten balkanischen Männer – einfach nicht, wie er mit seiner Tochter zu kommunizieren hat.

Zum Wendepunkt von Veneras Befreiung wird die Tanzszene mit ihrer Mutter. Als Venera zum ersten Mal zu spät nach Hause kommt und feststellt, dass ihr Vater nicht da ist, macht sie die Musik an und fängt an, mit ihrer Mutter zu tanzen. Dieser Tanz von zwei Frauen, Mutter und Tochter, ist eine Rebellion, eine Feier von Freiheit. Er ist aber auch ein Zeichen der Solidarität zwischen den Frauen. Etwas ändert sich ab diesem Moment in Veneras Verhalten und in ihrem Anblick. Von nun an ist sie erwachsen.

Überhaupt ist Körpersprache ein zentrales Ausdrucksmittel, was allein schon in der Länge einzelner Sequenzen deutlich wird. Die Kamera bleibt oftmals länger an den Gesichtern und Körpern der Figuren hängen. Daher wirkt der Film nicht besonders dynamisch. Außerdem arbeitet der Film mit viel Detail- und Großaufnahmen, um die gesamte Palette von Emotionen filmisch darstellbar zu machen.

Die visuelle Reihe zeigt den Zuschauer_Innen die teilweise zerbombten, alten und sehr armen Häuser der provinziellen Stadt. Hinter diesen grau-braunen Fassaden verstecken sich Menschen voller Leidenschaften, die sie aber nicht ausleben können. Das spiegelt sich auch in ihrer dunklen Kleidung wider, die sehr bedrückend wirkt.

Veneras Suche nach dem wahren Ich und ihr Widerstand gegen die aufgezwungenen Verhaltensnormen verkörpern das typische Coming-of-Age Narrativ; die Entourage der post-kriegerischen kosovarischen Kleinstadt fügt ein Gefühl von Ausweglosigkeit und Vorherbestimmung hinzu, was diesen Film so besonders macht.

Sefa, Norika: Nё kёrkim tё Venerёs (Looking for Venera). Kosovo, Nord-Mazedonien, 2021, 111 Min

von Anastasia Sergeeva

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