Von Ungarn in Deutschland: “Hotel Budapest, Berlin …” von Thomas Sparr

1918, 1944, 1956, 1989: Vier Schicksalsjahre des ungarischen Jahrhunderts. Vier Jahre, an denen der Literaturwissenschaftler Thomas Sparr die kulturellen Beziehungen der Ungarn in Deutschland und der Deutschen in Ungarn mitsamt ihren Auswirkungen beschreibt. So erfahren wir als Leser seines Buchs „Hotel Budapest, Berlin …“ (Berenberg Verlag) vom Austausch der wichtigsten Vertreter der deutschen und ungarischen Literatur und Philosophie, von den Salons in Berlin, Budapest und Zürich (denn Berlin ist hier auch weiter gefasst als nur die Stadt, es zählt der deutschsprachige Raum), von den Fluchtbewegungen West-Ost und Ost-West und die politischen Entwicklungen vor und hinter dem Eisernen Vorhang. Thomas Sparr spannt ein historisches Panorama zweier Länder, das noch heute nachwirkt.

Wusstet ihr, dass die Ungarinnen und Ungarn im Berlin der Goldenen Zwanziger die zweitgrößte Emigrantengruppe nach den Russinnen und Russen bildeten? Zurecht weist Thomas Sparr darauf hin, wie gut diese Thematik, von Russland in Deutschland, bereits u. a. von Karl Schlögel aufgearbeitet wurde, doch zu Ungarn gibt es meistens Schweigen. Dabei ist es bezeichnet, wie die ungarischen Einwanderer das Leben hier beeinflussten. Insbesondere die Filmbranche wurde so in der Weimarer Republik zu “Hungarywood”, verzeichnete einen großen Zulauf an ungarischen Künstlern und Mitarbeitern. Doch die Medaille der Einwanderung hat immer zwei Seiten: Während der Film, die Kunst und Literatur aufblühten und deren Vertreter großzügig lebten, verbrachte der Großteil der Emigranten seine Zeit auf den Straßen und bettelte, immer auf dem Sprung von Hungerlohn zu Hungerlohn. Für die einen war die Zeit die Zeit des Erfolgs und der Blüte, für die anderen die des Leids und der Armut.

Natürlich dürfen aber auch die großen Namen nicht fehlen: Mit den Biografien des Philosophen, Literaturwissenschaftlers und -kritikers Georg Lukács, des Literaturwissenschaftlers Peter Szondi, der Philosophin Ágnes Heller oder des Theaterwissenschaftlers Ivan Nagel arbeitet Thomas Sparr die Achse Berlin-Budapest heraus. Beide Städte wurden wichtigste Bezugspunkte der Kosmopoliten. Auch heute noch existiert diese Achse: Terézia Mora und György Dalos leben und arbeiten wie einst Péter Nádas und Imre Kertész in der deutschen Hauptstadt. Doch schnell wieder genug der großen Namen, denn auch „Hotel Budapest, Berlin …“ wirft diese manchmal zu schnell entgegen. Manchmal driftet der Autor dabei auch zu sehr in die literarischen und philosophischen Konzepte der genannten Personen ab, doch am Ende steht immer die Erkenntnis, wie sehr diese das kulturelle Leben geprägt und nachhaltig beeinflusst haben. Nicht umsonst wurde beispielsweise das Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin nach Peter Szondi benannt. Und nicht ohne Grund hat sich Thomas Mann bei seiner Figurengestaltung von „Der Zauberberg“ an realen Freunden und Bekannten aus Ungarn orientiert. Der rote Faden dieser vielen kleinen und großen Verbindungen zieht sich durch das ganze europäische Jahrhundert. Nicht alles kann dabei detailliert beschrieben und aufgearbeitet werden. Das Ergebnis jedoch bleibt: Berlin liegt an der Donau, Budapest an der Spree.

Herausgeber ‏: ‎ Berenberg Verlag GmbH; 1. Edition (19. Oktober 2021), 24 € (D)
Gebundene Ausgabe : ‎ 200 Seiten
ISBN-13 ‏: ‎ 978-3946334804

von Annika Grützner

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