von Annika Grützner
Ismail Kadare ist Albaniens berühmtester Autor – und ein „Dauerverdächtiger“ für den Nobelpreis. In seinen Erzählungen geht es um die Geschichte seiner Heimat. In einer präzisen Sprache gibt er dabei das Leben in den engen Steingassen der Gebirgssiedlungen wieder, die voller Leben sind. „Geboren aus Stein“, das nun im Fischer Verlag erschienen ist, versammelt mehrere Kurzgeschichten, die auch autobiografisch geprägt wurden. Kadare springt hier an den Anfang seines Lebens: Seine Kindheit und Jugend in Gjirokastra, einem kleinen Dorf, dessen Häuser sich tief in den Berg graben und so ein verwinkeltes Labyrinth geschaffen haben. Hier lebt der Erzähler mit seiner Familie, erlebt Abenteuer mit seinem besten Freund und folgt dem Traum, eines Tages ein großer Schriftsteller zu werden. Kadare schreibt von seinem ersten veröffentlichten Gedicht in einer Zeitung – für ihn ein poetisches Meisterwerk, für die Redakteure lediglich ein Witz und eine Anmaßung. Er berichtet von seinem ersten Roman, den er mit seinem Freund schreibt, bis sie sich streiten und die Kapitel, die bis dato größtenteils aus Werbesprüchen zum Inhalt bestehen, unter sich aufteilen.
Besonders persönlich und emotional ist die Erzählung „Die Puppe“, die von seiner Mutter handelt, die sich puppenartig durch das Haus bewegt und sich nach und nach aufzulösen scheint. „Geboren aus Stein“ ist wohl Kadares persönlichste Veröffentlichung, die sich lohnt, zu lesen.
Auch Jurica Pavičić zählt zu den renommiertesten Autoren seines Landes und macht seine Heimat zum Gegenstand seiner Geschichten. „Fremde Helden“ (erschienen bei schruf & stipetic in einer Übersetzung von S. Böhm und B. Stipetic) vereint erstmals alle Kurzgeschichten des kroatischen Autors in einem Band, die bisher nur als E-Book auf Deutsch veröffentlicht wurden. Die Protagonisten stammen in diesen aus dem einfachen Volk, sind Nachbarn, Bekannte oder gehören zur Familie. Ihre Entscheidungen prägen die Erzählungen. Sie erzählen von Verrat, Missgunst und Unentschlossenheit. So folgen wir beispielsweise einem Polizisten, dessen Bruder kriminelle Machenschaften unterhält. Soll er die eigene Familie schützen oder seiner Berufsehre folgen? Ein Mann verspricht seinem sterbenden Freund auf dem Schlachtfeld, sich um dessen Frau zu kümmern. Doch schnell ist die Verbindung der beiden durch die Konflikte der Vergangenheit geprägt. Sollen sie die Vergangenheit ruhen lassen und einen Neuanfang wagen? Ein anderer junger Mann kann nach dem Tod des verhassten Mieters nach langer Zeit endlich wieder die Wohnung seiner Kindheit betreten. Hier „lauert“ hinter einer verschlossenen Tür das Geheimnis der Nachbarschaft in Form eines Altars für Schutzbedürftige. Soll er nun zum neuen Hüter dessen werden?
Jurica Pavičićs Kurzgeschichten bieten einen spannenden Einblick in seine Figuren, bei denen man sich oft wünscht, noch ein wenig länger zu verweilen.