von Annika Grützner
Bulgarien, 1987: Die junge Ärztin Anja tritt ihr erstes Jahr als praktizierende Medizinerin an und wird dafür in das kleine Dorf Svescht beordert. Aus Varna kommend, wird sie hier nicht nur mit der kleinen, eingeschworenen Dorfgemeinschaft, sondern auch mit einer großen Abneigung gegenüber allem Neuen konfrontiert. Zu den Lichtblicken in ihrem tristen Alltag gehören neben den Kindern und Jugendlichen eines benachbarten Kinderheims, auch einige wenige Bewohner, die zu Freunden werden und mit denen sie immer wieder neue Kraft für das Kommende schöpfen kann.
Evelina Jecker Lambrevas Roman „Entscheidung“ (Braumüller Verlag) ist eine Erzählung auf zwei Ebenen. Zum einen geht es um das persönliche Schicksal von Anja, die sich als Fremde in Svescht beweisen muss. Zum anderen ist es das aktuelle Zeitgeschehen, der das Denken und Handeln der Figuren prägt. Perestroika und Glasnost sind hier die Begriffe einer neuen Zeit. Einer Zeit, in denen Jung auf Alt, der Kapitalismus auf den Kommunismus und möglicher Fortschritt auf möglichen Stillstand stoßen. Doch in Svescht kommt davon noch wenig an. Anja will frei sein, will sich ihr Leben nicht vorschreiben lassen. Sie trägt gerne ihre teuren Bluejeans aus dem Westen, hört lautstark die Beatles und trinkt Coca-Cola. Und so wird Anja für viele in ihrer neuen Heimat schnell kritisch beäugt. Als sie dann auch noch ein Angebot der Partei ausschlägt, nach Paris zu gehen, um dort als Ärztin zu arbeiten und für ihr Land zu spionieren, wird die Menge der ihr wohl gesonnenen Einwohner immer kleiner. Doch Anja versucht weiterhin, stark zu bleiben, denn jeder scheinbare Fehler könnte zu einer Katastrophe führen.
„Entscheidung“ ist eine Erzählung der Gegensätze in einer Zeit der Umbrüche. Bulgarien ist gerade für viele gerade junge Menschen kein Land der Hoffnung mehr, doch die Alteingesessenen halten an ihren Überzeugungen fest und setzen diese teilweise mit Gewalt um. Lambreva setzt hier sicher bewusst das Bild einer starken und selbstbewussten Frau in den Vordergrund, die an ihrem Traum von der Zukunft einer erfolgreichen und geachteten Ärztin festhält. Als starker Kontrast steht sie für den Fortschritt und die kommende Zeit inmitten von Misstrauen und Angst.
Evelina Jecker Lambreva, 1963 in Bulgarien geboren, lebt seit 1996 in der Schweiz, wo sie als niedergelassene Psychiaterin und Psychotherapeutin arbeitet. Sie lehrt außerdem als Klinische Dozentin an der Universität Zürich.
- Gebundene Ausgabe: 260 Seiten, 22 € (D)
- Verlag: Braumüller Verlag (1. Oktober 2019)
- ISBN-13: 978-3992002580