Frauen, Lemberg und eine Glasmalerei: Żanna Słoniowskas „Das Licht der Frauen“

von Natalia Staszczak-Prüfer

9783311100034.jpgŻanna Słoniowska wurde 1978 im Lemberg geboren und verbrachte dort 24 Jahre ihres Lebens. Heute wohnt sie in Krakau, wo sie mit der Spezialisierung auf die Ukraine als Übersetzerin und Journalistin arbeitet. In ihrem Haus wurde schon immer Polnisch, Ukrainisch und Russisch gesprochen und obwohl die Autorin nie eine polnische Schule besuchte, hat sie ihren ersten Roman auf Polnisch geschrieben – mit großem Erfolg. Słoniowska hat einen Wettbewerb vom Verlag Znak für ihr Debüt „Das Licht der Frauen“ (auf Deutsch im Kampa Verlag erschienen) gewonnen. Daraufhin konnte sie in diesem wichtigen Verlag ihr erstes Buch auch veröffentlichen. Anschließend wurde die Autorin für den Nike Preis (der bedeutendste Literaturpreis in Polen) sowie für den Conrad Preis für das beste Debüt (hier haben Internetnutzer das Buch ausgewählt) nominiert.

Viele zeitgenössische deutsche Autorinnen und Autoren sind in einem anderen Land geboren und eine große Anzahl dieser SchriftstellerInnen kommt aus dem mittel- und osteuropäischen Raum. Ihre Sprache ist vielleicht grammatisch korrekt, aber oft auch „gefärbt“ von ihrer Herkunft, genauso wie die beschriebenen historischen Kontexte, was für viele Kritiker und Leser ein enormer Vorteil ist. Mit der überwältigend schwierigen polnischen Sprache ist es anders. Kaum jemand mit fremden Wurzeln beherrscht die Sprache so gut, um ohne Hilfe ein komplettes Buch zu schreiben und Żanna Słoniowska ist definitiv eine Ausnahme. Leider verschwindet dieser für polnische Leser wichtige Aspekt in der perfekten Übersetzung ins Deutsche, die von Olaf Kühl, einem der besten und bekanntesten Übersetzer der polnischen gegenwärtigen Literatur geschrieben wurde. Sogar der Titel des Buches wurde verändert. So heißt „Das Licht der Frauen“ auf Polnisch „Ein Haus mit Glasmalerei“. 

„Das Licht der Frauen“ erzählt die Geschichte von vier weiblichen Generationen einer Familie, die zusammen in einem alten Haus in Lemberg mit einer riesigen Glasmalerei (11 Meter hoch) wohnen. Die Urgroßmutter, Oma, Tochter und Enkelin hassen und lieben sich, sind total unterschiedlich und gleichen sich doch so sehr. Das, was sie für das gesamte Leben verbindet, sind die Ukraine, die Kunst und die Einsamkeit.
Die Urgroßmutter ist eine durch die Kriege traumatisierte Frau, die Opernsängerin sein wollte und stattdessen ein verrücktes, exzentrisches Monstrum geworden ist, die unerfüllt und unglücklich ist. Ihr jahrelang dauernder Konflikt mit der Tochter Aba, verursacht eine furchtbare Familienstimmung und ein Haus ohne Liebe oder Vertrauen. Doch Aba ist abhängig von der Mutter und versucht gleichzeitig, eine gute Betreuerin für ihre Enkelin zu sein. Eine Aufgabe, die ihr immer häufiger über den Kopf wächst.

Die Tochter Marianna wiederum ist eine selbstbewusste, erfolgreiche Opernsängerin, die für eine freie, unabhängige Ukraine kämpft und ein Opfer des Regimes wird. Das Buch beginnt mit ihrem Tod während einer Demonstration, an der sie teilnimmt. Die Ich-Erzählerin ist die Tochter von Marianna – ein elfjähriges Mädchen, das musikalisch unbegabt ist und im Schatten der großartigen Mutter erzogen wurde. Der Tod ihrer Mutter ist eine Zäsur für sie. Seitdem entwickelt sie sich als eine Frau auf der Suche nach ihrer Identität, entdeckt die Vergangenheit ihrer Familie, begeistert sich für Lemberg und die Kunst. Am Ende wird sie die Freundin des Liebhabers ihrer Mutter Mikolaj. Dieser ist der einzige präsente Mann im Buch. Alle anderen sind verschwunden, haben ihre Frauen verlassen, sind verhaftet, gestorben, geflüchtet oder haben zu viel Wodka getrunken. Die Hauptfiguren des Buches sind allerdings nicht nur Frauen. Eine große Rolle spielt hier das fabelhaft beschriebene Lemberg – eine Stadt, in der Ukrainer, Polen, Russen und Juden zusammen wohnen, sich hassen und/oder tolerieren. Eine Stadt mit vielen Kulturen, Religionen und Sprachen. Eine Stadt, die sehr viel erlebt hat und heute nicht  mehr eine so große Bedeutung wie in der Vergangenheit hat.

„Diese Entscheidung für eine Identität muss auch heute noch getroffen werden, nun ist die Frage: Bist du pro Putin? Oder für eine unabhängige, pro-europäische Ukraine?“, fragte sich die Schriftstellerin während eines Gesprächs mit Spiegel Online.

„Das Licht der Frauen“ ist schließlich ein Roman über die Ukraine und ihre Geschichte, über die Sehnsucht nach Unabhängigkeit, die Konflikte mit Polen und Russland. Es ist eine Geschichte über ein Land, das zwischen Europa und Russland steckt und dessen Bewohner geteilt sind, wenn es um ihre Zugehörigkeit geht. Die Urgroßmutter nennt sich „Russin“, die Tochter fühlt sich als Polin, Marianna sagt, dass sie Ukrainerin ist und die jüngste Heldin, Mariannas Tochter, bezeichnet sich einfach als „Lembergerin“. Während der Lektüre hinterfragt man nicht nur oft die eigene Einstellung zu Putin oder Europa, sondern auch die enorme Bedeutung und den Einfluss der Geschichte und der Politik auf das einzelne Leben des Menschen. Obwohl das vielleicht eine alte und bekannte Frage ist, ist diese sehr aktuell in der heutigen politischen Lage. Nicht nur in der Ukraine.

  • Gebundene Ausgabe: 272 Seiten, 22 € (D)
  • Verlag: KAMPA (2018)
  • Übersetzung: Olaf Kühl
  • ISBN-13: 978-3-311-10003-4
  • Originaltitel: Dom z witrażem

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