Lesezyklus – Lektury ist ein Projekt des Berliner Vereins ostPunkt e.V., das die Idee verfolgt, die polnischen Klassiker, die aus der Liste der Pflichtlektüre in den Schulen gestrichen oder gekürzt wurden, den LeserInnen in Berlin & Brandenburg zu präsentieren. Die OrganisatorInnen wollen mit den Lesungen in Berlin, Potsdam, Cottbus, Frankfurt (Oder) u. a. die LeserInnen in Deutschland erneut auf diese klassischen Texte der polnischen Literatur aufmerksam machen und zugleich kritisch die neue Politik der PiS-Regierung beleuchten.
Den Auftakt dieses Lesezyklus’ bildete die Lesung am 27. April im Café ostPost Berlin. Der polnische Kanonautor Stefan Żeromski und sein Roman „Die Heimatlosen“ standen an diesem Abend im Mittelpunkt der sehr gut besuchten Veranstaltung im Prenzlauer Berg. Die LeserInnen konnten sich Żeromski Werks aus unterschiedlichen Blickpunkten nähern. Nach einer Videoinstallation von Lena Crohmal mit den Bildern des Warschauer Straßenlebens lauschte man Romanauszügen, um anschließend mit den eingeladenen Gästen über diesen klassischen Text diskutieren zu können.
„Die Heimatlosen“ entstand zwischen 1898/1899 und dreht sich um die Arztfigur Tomasz Judym, der aus Paris nach Warschau zurückkehrt. Judym identifiziert sich stark mit der polnischen Arbeiterklasse und beschreibt schonungslos das Elend, in dem die armen Gesellschaftsschichten leben müssen. Das Thema der sozialen Ungleichheit beschäftigt ihn sehr stark, so dass er später sein privates Glück seinem Beruf opfert.
Im Schuljahr 2019/2020 wurde der Roman „Die Heimatlosen“ vollständig aus der Schullektüre herausgenommen. Eben diesem Thema widmete sich das Gespräch, nachdem die Gäste die längeren Auszüge aus dem Roman mit Begleitung durch die Live-Musik gehört hatten. Die Moderatorin Ewa Wanat sprach mit Sławomir Sierakowski (Krytyka Polityczna aus Warschau) über die eventuellen Absichten der regierenden PiS-Partei, die die Partei bei der Überarbeitung und Neukonstruktion der Schullektüre verfolgen könnte. Ob die PiS-Partei Angst von diesem Autor und seinem Roman hat und deshalb diese Streichungen vornimmt, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Sierakowski fragte sich, inwiefern diese Schullektüren die polnischen Jugendlichen überhaupt maßgebend formen würden/können. Der Text, der sprachlich eher sperrig und ein Klassiker in seinem klassischen Verständnis ist, könnte gerade eben durch diesen „Rauswurf“ aus den Schulen an Attraktivität bei den jungen LeserInnen gewinnen. Außerdem sprachen die Gäste über die weiteren Literatur-Klassiker wie Joseph Conrad, Witold Gombrowicz, Bruno Schulz u. a. Es war eine gelungene Veranstaltung, die zugleich sehr neugierig auf die weiteren geplanten Lesungen machte.
Da Read Ost einer der Medienpartner des Lesezyklus’ ist, werden wir auf dem Blog über die Lesungen berichten, die im Rahmen von „Lektury“ in Berlin/Brandenburg stattfinden werden. Der Lesezyklus geht am 24. Mai mit Joseph Conrad – Herz der Finsternis in Cottbus und am 25. Mai in Berlin weiter. Wir sind sehr gespannt und freuen uns auf weitere Entdeckungen!
von Irine