(Post-)Sozialistische und postmemoriale Werkstatt: “Die Teufelswerkstatt” von Jáchym Topol

von Amanda Beser

Jáchym Topols Roman Die Teufelswerkstatt (Suhrkamp) lässt sich als (post-)sozialistische und postmemoriale Werkstatt lesen, die mit dem neoavantgardistischen Bruch bricht. Sie ist auch eine Erzählwerkstatt, die erstaunlich ökonomisch und produktiv die Frage nach dem „Wer spricht?“ löst. In dem phantasmatischen Gedenkstätten-Thriller finden sich keine Anführungsstriche bei direkt gesprochener Rede. Und Nietzsches Frage nach dem „Wer spricht?“, beschwört hier geradezu die Frage nach dem „Wer lacht?“ herauf, auch nach dem „Wer spielt?“, einfach weil im Roman, der 13. Kapitel umfasst, viel gelacht und gespielt wird. Fast zu viel für dieses Sujet, so scheint es. Denn immerhin geht es hier um Erinnerungsorte und -kultur des Zweiten Weltkriegs bzw. der Schoah, aber auch um belarussische Tabuthemen, wie die Beteiligung an der Ausführung des Generalplan-Ost.

Dabei wird gern übersehen, wie widerständisch dieses Lachen ist und wie alternativ das Spiel. Es ist nicht mit dem „Roten Lachen“ Leonid Andrejews zu vergleichen. Dieses Lachen wird hier trotzdem gelacht. Mit Betonung auf Trotz. Gerade das macht den Reiz von Topols (post-)postmoderner Erzählung aus, wie ich finde. Die Teufelswerkstatt steht außerdem in der Tradition des Scheiterns, des kontinuierlichen Scheiterns, im Zeichen der Wiederholung. Die Fluchtbewegungen des Protagonisten streben nach ‚vorn‘, ganz dem Gedanken, der der Vorhut innewohnt und führen im Loop organisierte Wiederholungen herbei. Eine Brüchigkeit, wie sie nur durch das Oszillat zwischen Oberfläche und Untergrund, zwischen Fiktion und Außerfiktion entsteht, charakterisiert die immanente Spannung, welcher die Rahmenhandlung unterworfen ist, welche Mal in Scherben zusammen zu brechen, bzw. in Flammen aufzugehen droht. Die Flucht des flüchtenden „Ichs“ ist immer nur Aufschub, der selbst im vermeintlichen Gelingen zum Scheitern neigt. Die Teufelswerkstatt ist Jenseits von Gut und Böse angesiedelt. Sie ist ein Projekt gegen das Vergessen im Staube des Vergessens, im Fadenkreuz politischer Narration. Erlaubt mir die Nietzsche-Anleihe, aber es scheint, dass Topol uns mit dieser auch lustigen Erzählung über, von und im Magazin der erinnerungskulturellen öffentlichen Verwaltung, die Maske des Bösen anbietet, in Form von Dark Tourism und dessen Tendenz, Leid durch Souvenisierung zu kommerzialisieren.

Topols Teufelswerkstatt weist eine heterotope Doppelstruktur auf. Ein ständiges Oszillieren zwischen Diktion und Fiktion begleitet uns Lesende von Theresienstadt nachTerezín, von Minsk bis Chatyn. Zwischen Narben und dem Gedenken ihrer Wunden. Ein posttraumatisches Erzählen im (post-)postmodern gelösten Roman des tschechischen Autors, der, anekdotisch angemerkt, mit 16 Jahren die Charta 77 unterschrieb. Wir müssen noch einen Augenblick bei Nietzsche bleiben, noch sind nicht alle Anleihen fixiert. Ich hatte zuvor erwähnt, dass die Erzählung 13 Kapitel aufweist, was bereits einen gewissen symbolischen Unheilswert besitzt, endet doch die ganze Geschichte, sozusagen der Traum von der Teufelswerkstatt, mit ihrer Vernichtung. Aber entscheidender noch als die zwingend notwendige Vernichtung der Teufelswerkstatt, ist, dass das Ende des spukvollen Abenteuers offen ausgeht. So offen eine asynchron starke Gewaltverteilung zwischen Gejagten und Jagenden auf unwirtlichem Terrain, bei völliger Erschöpfung und in den Armen einer deutschen Gedenkagentin mit Museumsexponaten, im Angesicht eines Super-Sturmes, eben sein kann.

Topol bietet uns auf den ersten Blick keine Lösung an. Auf den zweiten kann die groteske Verzerrung der belarussischen Second-Hand-Zeit mit ihren toten Lebenden, den maschinisierten Menschen und dem ungeheuren touristischen Erinnerungsprojekt mutatis mutandis tagesaktuell an politische Geschehnisse anknüpfen. Tagesaktuell scheinen uns die Szenen aus der Teufelswerkstatt, die unverhältnismäßig brutales Durchgreifen, wie bspw. bei Demonstrationen im urbanen Minsk, schildern. Das friktionale Moment der Topol’schen Lektüre besteht aber auch im ständigen Zusammenführen, der Folien Holocaust /Theresienstadt und Chatyn/Bürgerkrieg/Völkermord, aber auch nietzscheaner Denkfiguren, wie der Frage nach dem „Wer spricht?“ mit(post-)postmoderner Punkigkeit.

Kommen wir noch einmal kurz zurück zur Misere der Vorhut. Ihre Nachhut droht sie stets einzuholen. Ein Gelingen der (Neo-)Avantgarde ist strenggenommen ein Scheitern der (Neo-)Avantgarde. Wir sehen es in Gestalt der jungen Pritschensuchenden, die ausgestattet mit allen Privilegien, die angenehmes Reisen zu Katastrophenorten erforderlich macht, Gedenkorte aufsuchen, um dort besonders reizvolle Erlebnisse, besonders emotionaler Qualität genießen zu können. Wir sehen es in den geschmacklosen Souvenirs, die zum Verkauf angeboten werden, in den T-Shirts mit der Aufschrift „Theresienstadt: Hätte Kafka seinen Tod überlebt, hätte man ihn hier umgebracht!“ die der sqot aus Gebliebenen, die in den Ruinen der ehemaligen Festungsstadt auf anraten der ideenreichen Pritschensuchenden, anfertigen und veräußern. Zum Konsum angeboten werden noch Joints mit Mauerstaub und für den Fressflash danach, „Ghetto-Pizza“ ebenfalls mit Mauerstaub-Spezialgewürz. Von den Mentalos selbstgebundene Besen und Kieselsteine mit handgeschriebener Authentifizierungsnummer, die anzeigt, die wievielte Person den Stein erwirbt, runden das Untergrund-Memoria-Warensortiment ab. Zumindest was den kurzweiligen Erlebnishunger stillt. Handelt doch die erste Hälfte der Teufelswerkstatt von der Fröhlichen Werkstatt, die auch wieder an dieser Stelle Nietzsches Fröhliche Wissenschaft mitzitiert.

Intertextuelle Verweise gibt es in Topols schaurigem Action-Erinnerungsroman viele. Selbst das Igorlied findet seinen Auftritt, als die belorussische Gedenkagentin Maruška Kaganova den mythisierten Ursprung der belarussischen Hauptstadt Minsk in Erinnerung ruft, der, würden wir heute sagen, splatter-mäßig blutrünstig war. Jean Améry taucht auf, das Hirtenmotiv, der Sandmann (bei Topol gibt es nur mehr Olimpias und sie erwecken statt Entzücken, unheilvolles Grauen), klar auch Hamlets Scheitern finden wir. Wir finden den Vatermord, das Henker-und-sein-Gehilfe-Motiv, und eine Art Scholastik-Kritik, wenn es beispielsweise „Wasserkopfakademiker“ und „Weißkittel“ heißt. Wir finden einen heterosexuellen cis-Helden, der mit Potenz ausgestattet ist und mit Humor, der Körperkontakt sucht und gerne flirtet, egal wie weltfremd Topol ihn inszeniert. Wir finden im Protagonisten der Teufelswerkstatt einen Menschen, der in Form seines Memory-Sticks, seines Weberknechts, eine mächtige Prothese hat, die er sich schließlich notgedrungen einverleiben muss, um sein Überleben zu sichern, während er aber fürchtet, daran zugrunde zu gehen und sich zu vergiften. Auf dem Memory-Stick sind Kontakte von Holocaust-Überlebenden gespeichert.

Aber weil in diesem Roman auch Kippmomente spannungserzeugend integriert werden, sei an Lacans „Lieben heißt geben, was man nicht hat, an jemanden der es nicht will.“, erinnert. Denn Beziehungen auf Augenhöhe finden sich keine in der Teufelswerkstatt.

  • Herausgeber: ‎ Suhrkamp Verlag; 1. Edition (15. März 2010), 24,80 € (D)
  • Übersetzung‏: ‎ Eva Profousová
  • Gebundene Ausgabe‏: ‎ 201 Seiten
  • ISBN-13: ‎ 978-3518421444

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