Auf dem 43. Filmfestival in Gdynia, wo KLER dieses Jahr seine offizielle Premiere feierte, wurde spontan eine spezielle, zusätzliche Projektion organisiert, da die Nachfrage so groß war. Am Wochenende der Filmpremiere haben insgesamt 935.357 Zuschauer den Film gesehen, was das beste Ergebnis in der Geschichte des polnischen Films seit dem Jahr 1989 ist. Nach Projektionen in Großbritannien und Irland wird KLER in 13 weiteren Ländern gezeigt und genießt seitdem den besten polnischen Kinostart im Ausland. Nach knapp vier Wochen im Kino erreicht die Zuschauerzahl fast 4,5 Mio. Was macht den neuesten Film von Wojciech Smarzowski so begehrt?
von Olga Pokrzywniak
Erste Szene. Drei katholische Priester irgendwo in Polen. Sie treffen sich, um das gemeinsame Überleben einer Katastrophe zu feiern. Das Treffen selbst könnte genauso gut ein Treffen Jugendlicher sein: jede Menge Alkohol, Fangesänge, Partyspiele und Vollrausch inklusive. Alles passend zum Lied „Maria hat einen Sohn“ („Maria ma syna“) der polnischen Rockgruppe Kult. Die Partylaune der drei Männer zerstört erst ein notwendiger, spätabendlicher Besuch bei einer, schon wieder (sic!), sterbenden Frau.
„Gebt mir Wein, Wein, Wein …“
Das Leben der Priester Leszek, Tadeusz und Andrzej könnte nicht unterschiedlicher sein. Zwar ist jeder von ihnen ein Mitglied der Katholischen Kirche, aber sie erfüllen ihre Dienste und Pflichten auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Der erfolgreichste und ehrgeizigste ist Leszek (J. Braciak). Er arbeitet in einer Kurie in einer großen Stadt und ist zu allem bereit, um seinen Traum von einer Karriere im Vatikan zu verwirklichen. Die letzte Hürde auf seinem Weg nach oben stellt der Erzbischof Mordowicz (J. Gajos) dar, welcher vor allem sein Luxusleben und die Fahrten durch die Stadt in seinem Bentley genießt. Außerdem nutzt er seinen politischen Einfluss, um den Bau des größten Sanktuariums in Polen umzusetzen. Tadeusz Trybus (R. Więckiewicz) ist Pfarrer in einem kleinen Provinzdorf. Dort verfällt er, wegen Armut und finanziellen Problemen seiner Gemeinde, immer häufiger gewissen menschlichen Schwächen – wie Alkohol und Sex. Andrzej (A. Jakubik), der am stärksten von den Dreien in seinem Glauben gefestigt ist, ist sehr beliebt in der Gemeinde. Doch bald verliert er auf ungerechte Weise das Vertrauen der Dorfbewohner, was nur der Anfang der unerwarteten Veränderungen im Leben der drei Bekannten ist.
„Es ist das Glaubensbekenntnis – Gold und Dollars“
Fast zwei Jahre schrieb Smarzowski gemeinsam mit Wojciech Rzehak an dem Drehbuch zum Film. Die Autoren hörten sich unzählige Geschichten aus dem Leben polnischer Priester an. Schon das Drehen des Filmes war mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Es war kaum möglich in einer Kirche in Polen so eine Produktion zu organisieren. Der Drehort wurde schließlich nach Tschechien verlegt. Einige Schauspieler wiederum lehnten die Teilnahme an KLER wegen der dargestellten Problematik ab. Smarzowski besetzte die Rollen daher mit seinem „alten Team“ – so sieht man auf der Leinwand Arkadiusz Jakubik, wie schon in WOŁYŃ (2016) oder DROGÓWKA (2013). Seine durch und durch authentische Darstellung eines mit der Vergangenheit kämpfenden Priesters überzeugt vor allem während seiner emotionalen Beichte. Janusz Gajos, in der Rolle des Erzbischofs, sorgt hingegen für Unterhaltung und eine gewisse Leichtigkeit. Charakteristisch für Smarzowskis Drehbücher ist eine grenzwertige Verbindung von Ironie und Gewalt, wobei der Trailer zu KLER zuvor den Eindruck erweckte, es könnte sich bei dem Film um eine Komödie handeln.
Ebenso besonders in Filmen dieses polnischen Regisseurs ist die musikalische Untermalung brutaler Szenen – der Zuschauer wird mit minimalistischen, aber starken Tönen auf eine Veränderung aufmerksam gemacht. Insgesamt hört man in dem Film wenig Musik – dafür ist ihre Rolle umso ausschlaggebender für witzige, traurige oder tragische Momente.
Die Kamera vereint zwei Perspektiven. Zum einen die „normale“ Kamera, bei der permanent die Schauspieler im Vordergrund stehen. Zum anderen die Überwachungskamera im Büro des Erzbischofs, die Einblicke in die sonst geheimen bzw. öffentlich verschwiegenen Entscheidungen gewährt. Smarzowski bleibt dabei seinem Still treu und hält an der Geradlinigkeit sowie der Natürlichkeit des Dargestellten fest. Es folgt ein subtiles Spiel mit dem Zuschauer und seinen Emotionen.
„Nichts Menschliches ist ihnen fremd“
Wojciech Smarzowski vermied nie Provokation. Man kann davon ausgehen, dass, wenn ein umstrittenes Thema medial nicht ausreichend verarbeitet worden ist, er sowohl als Privatperson als auch als Künstler eine Stellung dazu einnehmen wird.
Dass sein Rezept erfolgreich ist, beweist sein aktueller Film. Dabei lässt sich dieses Werk rein filmtechnisch schwer beschreiben. Die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Stimmung ist zum Verständnis des Filmes und dessen Kritik nötig. In Polen ist der Katholizismus „die“ staatliche Religion. Die katholische Kirche genießt einen gewissen Neutralitätsstatus – Politiker aller Parteien dulden zumindest ihren Einfluss oder, wie die aktuelle Regierungspartei, binden religiöse Lehre in ihr politisches Programm ein und lassen das gewaltige Mitwirken kirchlicher Oberhäupter zu. Smarzowskis KLER zeigt deutlich, was schon vorher zu erkennen war – wie tief die polnische Bevölkerung geteilt ist. Nicht nur rein politisch, sondern auch in der Meinung, wie stark die Position der Kirche im, der Verfassung nach, säkularen Polen sein soll. Von der rezeptfreien „Pille danach“ bis zum Abtreibungsverbot – das alles nimmt Smarzowski wahr. Das Ergebnis? In Zabrze wurde der Film 24-mal an einem Tag gezeigt. In Ostrołęka hingegen wurde der Film gar nicht erst ins Repertoire der lokalen Kinos aufgenommen und in Zakopane wurden öffentliche Gebete für die Seelen der Zuschauer dieses Films organisiert. Auch die Preisverleihung beim 43. Filmfestival in Danzig verlief einzigartig. Smarzowskis Dankesrede wurde vom staatlichen Fernsehen teilweise zensiert und der Preis für den „Film, für den am längsten applaudiert wurde“ letztendlich nicht an KLER vergeben – die Auszeichnung sei zu wenig objektiv gewesen, hieß es danach. Auch im Internet findet man unterschiedliche Reaktionen. Die einen loben Smarzowski für seinen Mut, das Thema endlich filmisch darzustellen. Die anderen üben dahingehend Kritik, dass er wenig mit der Realität zu tun hätte und alle „echten“ Polen beleidigen würde.
Es lässt sich nicht leugnen – der Film wird nicht so schnell in Vergessenheit geraten. Und hoffentlich, so wie es sich der Regisseur wünscht, wird der polnische Klerus endlich ein menschliches Gesicht bekommen.
Smarzowski, Wojciech: KLER. Polen, 2018, 133 Min.