Familientragödie zwischen Atomausstieg und Fußballspielen: “Ein Mensch brennt” von Nicol Ljubić

„Der Tag, an dem alles einen Sinn ergeben würde, musste vermutlich mit Hartmut zu tun haben, schließlich hatte ihr ganzes Leben mit Hartmut zu tun.“

71cpv3L16EL.jpgDer neue Roman des in Berlin lebenden kroatisch stämmigen Autors Nicol Ljubić´ „Ein Mensch brennt“ (dtv) behandelt eine Geschichte um Familie, Glauben und Verlust. Als der Aktivist Hartmut Gründler als Untermieter in das Leben der Familie Kelsterberg tritt, ändert sich für diese die Zeitrechnung in das Leben vor und nach Hartmut. Denn der offensive Atomgegner beeinflusst nicht nur die Einstellung von Mutter Marta zur Politik, die engagiertes Mitglied des „Arbeitskreises Lebensschutz“ wird, sondern auch das harmonische Zusammenleben der Familie, das in der Trennung der Eltern gipfelt. Hartmut selbst verteidigt den Kampf für eine bessere Welt bis in den Tod – er verbrennt sich öffentlich, um ein Zeichen zu setzen. Der damals gerade zehnjährige Hanno begibt sich Jahrzehnte später nach dem Tod seiner Mutter auf Spurensuche in seine Vergangenheit. Wo liegt der Ursprung der Zerstörung seiner Familie? Und wer war Hartmut wirklich?

Es ist die Rolle der Frau, die in „Ein Mensch brennt“ einen zentralen Platz innehat. Während Hanno und sein Vater die Zeit v. H. am liebsten mit Fußball verbringen, ist es Marta, die als Hausfrau für ihre Familie sorgt. Doch mit den Erscheinen Hartmuts und dessen engagierten Kampfes gegen Atomenergie wird sie zur glühenden Verfechterin einer neuen Zeit. Seine Ziele werden ihre Ziele und auch Hanno soll diese vorantreiben. Dass Marta sich dabei immer weiter von ihrem Mann entfernt, nimmt sie dabei in Kauf. Die Position der emanzipierten Frau wird so auch eine kritische, denn mit der Befreiung der alten Fesseln wirft Marta auch gleichzeitig den Glauben an ihre Familie fort. Selbst nach dem tragischen Tod Hartmuts sieht sie es als ihre Hauptaufgabe an, den Nachlass ihres alten Weggefährten und dessen Opfer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen:

„Sie betrachtete es als ihre Aufgabe, die Erinnerung wachzuhalten, Hartmut den ihm gebührenden Platz im kollektiven Gedächtnis zu verschaffen. Sie wollte ihm ein Denkmal setzen, nicht nur im übertragenen Sinn.“

Martas und auch Hannos gesamtes Leben wird so von Hartmut Gründler bestimmt. Als Kind und Jugendlicher kann Hanno dem Einfluss nicht entkommen und selbst als Erwachsener steht er im Schatten des Aktivisten. In kurzen Kapiteln werden die verschiedenen Zeitabschnitte wiedergegeben und geben so ein tragisches Gesamtbild eines zerstörten Traums – dass der glücklichen Familie und des Atomausstieges noch vor Katastrophen wie in Tschernobyl und Fukushima.

Obwohl „Ein Mensch brennt“ ein fiktiver Roman ist, basiert die Geschichte auf wahren Begebenheiten, denn Hartmut Gründlers öffentliche Selbstverbrennung gegen Atomenergie und die Lügen der Politik Helmut Schmidts fand 1977 in Hamburg statt. 5 Tage später starb er auf der Intensivstation. Obwohl es Marta im Buch nicht gelingen mag, seine Person öffentlich in Erinnerung zu behalten, hat der in Ljubić ihm mit seinem Roman ein ganz besonderes literarisches Denkmal gesetzt. „Ein Mensch brennt“ ist eine tragische Geschichte, die zwischen melancholischen und bestürzenden Erinnerungen schwankt.

 

  • Gebundene Ausgabe: 336 Seiten, 20 € (D)
  • Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (8. September 2017)
  • ISBN-13: 978-3423281300

Annika

 

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