Im Zweifel für den Angeklagten?

Manch einer mag meinen, Dokumentarfilme und Krimis lägen um Welten auseinander. Nun, weit gefehlt: Regisseur Maciej Pieprzyca beschäftigt sich nach seiner Dokumentation aus dem Jahre 1998 erneut mit der Thematik des „schlesischen Vampirs“. Gelungen ist ihm mit Jestem modercą (I’m a killer) ein hochspannender Thriller mit grandioser Charakterentwicklung, der überdies beim Filmfestival Cottbus ausgezeichnet wurde.

I'm a Killer (2016)

Klick. Klick. Janusz Jaśinski (Mirosław Haniszewski, Auszeichnung als bester Schauspieler auf dem Cottbuser Filmfestival) dem gerade die Aufgabe zufiel, sich des Falls des schlesischen Vampirs anzunehmen, lässt den Anzünder seines Feuerzeugs auf- und abspringen, während er darauf wartet, zum ersten Mal seinem Team zu begegnen.

Von großer Verantwortung…

1970: Die Volksrepublik Polen befindet sich unter kommunistischer Ordnung. Ein Kriminalfall verunsichert die Bevölkerung zutiefst: Ein Massenmörder von Frauen jeglichen Alters, der sogenannte „Oberschlesische Vampir“ ist noch immer auf freiem Fuß. Der Fall gewinnt an zusätzlicher Brisanz durch die Ermordung einer Nichte Edward Giereks, der zu diesem Zeitpunkt erster Sekretär und damit Vorsitzender der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei ist. Die Polizei gerät immer mehr unter Druck. Diesen bekommt auch Janusz Jaśinski deutlich zu spüren, als er die Leitung des Falls übernimmt. Zunächst versucht er noch, sich diesem innovativ anzunähern, durch den Einsatz eines Computers etwa. Als auch das Aussetzten eines Preisgeldes lediglich zum Erhalt tausender Briefe führt, verfolgt er nur noch eine Spur und nimmt – trotz nicht vollkommen eindeutiger Indizien – einen Mann fest. Janusz wird nun als Held gefeiert und bekommt sogar einen Farbfernseher verliehen. Dennoch ist er zerrissen, er beginnt zu trinken, sucht sich eine Affäre und seine Bilderbuchfamilie zerbricht.

…und kleinen Momenten

Diese Zerrissenheit Januszs ist besonders gut ablesbar an bestimmten, kurzen Augenblicken im Film. Da gibt es die sich immer wiederholende Kneipenszene: Janusz und Freund Marek (Michał Żurawski) sitzen zusammen und trinken zu viel. Schließlich verabschiedet sich Marek und steigt betrunken in seinen Wagen. Das geht so lange gut, bis Marek in den fortschreitenden Ermittlungen das Wort gegen Janusz erhebt. Und Janusz daraufhin zum Hörer greift, um seine Kollegen von der Verkehrskontrolle zu benachrichtigen.

Da gibt es ein Ritual zwischen Vater und Sohn, einen Wettstreit im Armdrücken: „Lass ihn doch auch einmal gewinnen“, bittet Ehefrau Teresa (Magdalena Popławska) Janusz, als der seinen Sohn – wohl nicht zum ersten Mal – in dieser Disziplin schlägt. Doch Janusz will dies nicht. Als sich später die Szene wiederholt, wird dem Zuschauer bewusst, wie viel sich doch dazwischen ereignet hat: Janusz ist abwesend, sein Sohn gewinnt den Wettstreit um ein leichtes. „Ich habe gewonnen, ich habe gewonnen!“, freut dieser sich, nicht begreifend, wie vieles er doch verloren hat. Denn je mehr sich Janusz in den Fall verstrickt, desto mehr sinkt auch sein Moralgefühl.

Es sind diese Augenblicke, diese kleinen Szenen, die immer wieder auftauchen, aber sich doch von Mal zu Mal verändern, die es dem Zuschauer ermöglichen, die Charakterentwicklung des Hauptdarstellers haargenau mitzuverfolgen. Mirosław Haniszewski gelingt es dabei auf grandiose Art und Weise, die Metamorphose Januszs darzustellen: vom sich sorgenden Familienvater bis hin zum besessen, am Falschen festhaltenden, skrupellosen, aber „erfolgreichen“ Ermittler füllt er jede dieser ineinanderübergleitenden Stationen mit Leben. Den Zuschauer, der sich am Anfang vielleicht noch mit ihm identifiziert, zwingt die Kameraführung, die sich fast ausschließlich um Janusz dreht, bei ihm zu bleiben und bis zum Ende auszuharren, obwohl man doch manchmal am liebsten „Halt!“ rufen möchte. Auch sonst setzt der Regisseur auf hochkarätige Besetzungen: So wird beispielsweise Lidia Kalicka, die Ehefrau des vermeintlichen Mörders, von Agata Kulesza gespielt – die als Wanda aus dem oscarprämierten Film Ida bekannt ist.

Pieprzyca gelingt, was überfällig war: eine Unklarheit im Gericht wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen und so im Nachhinein vielleicht doch noch für Aufklärung zu sorgen.

Außerdem ist Jestem Modercą deshalb ein so wichtiger Film, weil er anhand eines wahren Beispiels vor Augen führt, wie weit die Gesellschaft bereit ist, ihre vermeintliche Sicherheit über das Wohl des Einzelnen zu stellen und wie sehr der Druck dieser Gesellschaft einen anderen Einzelnen verändern kann.

von Lea Seitz

Pieprzyca, Maciej: Jestem Modercą (I’m a Killer). Polen, 2016, 112 Min.

Siehe außerdem: Bericht von Irine & Elisabeth zum 27. FilmFestival Cottbus auf Novinki.de

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