Bereit für eine neue gemeinsame Zukunft?

Es ist ein Film, der auf einer wahren, brutalen und blutigen Geschichte basiert. Wojciech Smarzowski stellt in seinem neuesten Film Wołyń (Wolhynien) den Konflikt zwischen Polen und Ukrainern tiefgründig und schonungslos dar.

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Wolhynien. Eine historische Landschaft in der heutigen nordwestlichen Ukraine. Ein Gebiet des polnisch-litauischen Staates, später ein Teil Russlands und nach 1918 zwischen Polen und der sowjetischen Ukraine geteilt. Auf 36.000 Quadratkilometern leben 2,3 Mio. Bewohner. Darunter überwiegend Ukrainer sowie Polen und Juden. Eine ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt auf engstem Gebiet.

Eine idyllische Ruhe?

Erste Sequenz: eine bedeutungsvolle lange Hochzeitsszene. Sie lässt den Zuschauer traditionelle ukrainische Musik sowie Bräuche bewundern. Man schwebt mit dem Brautpaar auf „Wolke sieben“. Doch es sind die letzten ruhigen Momente unter den Nachbarn vor dem unmittelbar bevorstehenden Zweiten Weltkrieg. Es sind die letzten glücklichen und unbeschwerten Kindheitserinnerungen der 17-jährigen Zosia (Michalina Łabacz).

Der Regisseur schildert den verhängnisvollen Wandel in Wolhynien. Nach der polnischen kommt die sowjetische Macht und die politische Organisation wird an die Ukrainer abgegeben. Einige Polen werden nach Sibirien deportiert. Im Jahr 1941 kommen die Nazis. Juden werden getötet, einige fliehen und finden Rettung bei den polnischen oder ukrainischen Bewohnern Wolhyniens. Zosia kümmert sich in diesen unruhigen Zeiten um ihre Familie und balanciert zwischen ihrem polnischen Ehemann und der ukrainischen Kindheitsliebe. Das Erwachsensein hat einen bitteren Beigeschmack.

Nicht nur Liebe

Wie in seinen vorherigen Filmen, spielt Smarzowski auch in diesem mit Gewalt. Nach einer ziemlich langen und dominanten Darstellung der Liebesgeschichte kehrt der Regisseur zu dem Konflikt zurück. Erst sieht man nur eine symbolische Bestattung des polnischen Emblems. Man erfährt von den ersten Pogromen. Dann folgen drei Gottesdienste. Polen werden in der katholischen Kirche zum Selbstschutz aufgemuntert. Ein orthodoxer Priester erinnert an die Liebe zu den Nachbarn und ein anderer fordert zur Gewalt für eine von Polen freie und unabhängige Ukraine auf. Danach kommen der aufsteigende Nationalismus und eine pure Brutalität zur Geltung. Zuletzt sieht man während der Pogrome eine gewaltvolle Hasswelle. Es entsteht ein großes Feuer aus einer kleinen Flamme.

Die Kameraeinstellung verstärkt die Emotionen der Zuschauer. Es wird erst sehr vorsichtig und kurz auf einige Gewalttaten eingegangen, als wolle der Regisseur nicht alles zeigen. Von der Schwenkbewegung kommt es zu Nahaufnahmen. Die Farbe Rot beherrscht alles. Die wachsende Stimmungsänderung wird durch die Musik verstärkt – häufig düster und so verschieden von den meist fröhlichen ukrainischen Liedern aus der Hochzeitsszene. Die Länge der Gewaltszenen wirkt besonders schockierend. Trotzdem sind sie dabei weder übertrieben noch künstlich. Einfach schonungslos.

Ein friedliches Ende?

Wolhynien ist dem nationalistisch geprägten polnisch-ukrainischen Konflikt gewidmet. Schon in der Hochzeitsszene gibt der Regisseur einen Einblick in dessen Entstehung. Da sind vor allem diese scheinbar unwichtigen Details wie ein Wolfsbiss oder Gegenstände wie eine Axt, die in den letzten Szenen eine große Bedeutung gewinnen.

Es ist ein „Ereignispanorama“ entstanden, das mit seiner Entwicklung beeindruckt und überzeugt. Der Film beginnt mit der Szene kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, stellt dann das Kriegsgeschehen in diesem Gebiet dar und führt zu Pogromen und Rache. Der Übergang vom friedlichen Zusammenleben mit der sprachlichen Vielfalt bis hin zur dramatischen Wende hält die angespannte Stimmung der Zuschauer. Dabei setzt der Regisseur auf Objektivität. Es wird kein einfacher Trennungsstrich zwischen Opfern und Tätern gezogen.

Smarzowskis filmischer Beitrag sollte eine Brücke für einen polnisch-ukrainischen Dialog schaffen. Leider erfolglos. Eine Zusammenarbeit bei den Dreharbeiten wurde schnell abgelehnt. Die ukrainischen Schauspieler, die in Wolhynien spielen, bekommen keine Rollen mehr in heimischen Produktionen. In der Ukraine und Russland wurde der Film nicht gezeigt. Er sei zu politisch und zu einseitig, heißt es. Die Ukrainer, vor allem nach dem Konflikt um die Krim, sehen die Ukrainische Aufständische Armee als Helden; für sie sind die Erreignisse eine Tragödie. In Polen wiederum werden sie seit dem Regierungsbeschluss im Juli 2016 als Völkermord anerkannt. Im Jahr 1965 wandten sich die polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder mit folgenden Worten: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Man wartet auch in der heutigen angespannten Situation auf eine ähnliche Geste.

Wołyń (Wolhynien) hinterlässt einen tiefen Eindruck und lässt mit Sicherheit keinen Zuschauer emotionslos. Vom Regisseur als eine „Brücke“ gedacht, soll der Film keiner nationalistischen Propaganda dienen.

von Olga Pokrzywniak

Smarzowski, Wojciech: Wołyń (Wolhynien). Polen, 2016, 150 Min.

Siehe außerdem: Bericht von Irine & Elisabeth zum 27. FilmFestival Cottbus auf Novinki.de

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