Queerer Roman:„Im Wasser sind wir schwerelos“ von Tomasz Jedrowski

von Natalia Prüfer

Ich habe mich sehr gewundert, als ich in einem deutschen Radiosender hörte, dass Tomasz Jedrowski ein polnischer Schriftsteller sei. Sein Name, obwohl er polnisch klingt, war mir fremd. Dann las ich seinen Lebenslauf und seinen Debütroman „Im Wasser sind wir schwerelos“ (Hoffmann & Campe).

Tomasz Jedrowski wurde als Kind polnischer Eltern in Deutschland geboren und ist in Bremen aufgewachsen. Er hat Jura in Großbritannien und Frankreich studiert und arbeitete anschließenend als Anwalt. Er war auch in der Modebranche tätig, entschied sich dann aber, Schriftsteller zu werden und seinen Debütroman (der Originaltitel lautet „Swimming in the Dark“) hat er auf Englisch geschrieben – das Buch wurde dort gut aufgenommen. Seine Eltern sorgten nicht nur dafür, dass er die polnische Sprache und Geschichte gut kennt, sondern haben ihm auch viel über die Epoche der Volksrepublik Polen erzählt, was den Jungen offensichtlich prägte. Tomasz Jedrowski ist für mich also ein Weltbürger mit polnischen Wurzeln, der einen Roman über Kommunismus und homosexuelle Liebe in Polen geschrieben hat.

Für polnische Leser ist das Motiv der schwulen Romanze bestimmt ein Schwerpunkt des Romans, nicht polnische Leser hingegen werden sich auf das „exotische“ politische System konzentrieren. Dazu eine kurze Bemerkung: Es mangelt meiner Meinung nach an polnischen Romanen in Deutschland, die das Hier und Jetzt thematisieren, denn das Polen der Moderne setzt sich nicht ausschließlich mit einem System auseinander, das seit 30 Jahren nicht mehr existiert.

„Im Wasser sind wir schwerelos“ ist die Geschichte von Ludwik, der gerade sein Studium abgeschlossen hat. Er lebt im Warschau der 80er Jahre und will nicht mehr in Polen wohnen. Er erstickt dort, gehört nicht zum System, sieht hier keine Zukunft. Die Schlangen vor Geschäften, die Demonstrationen, Zensur – das alles verunsichert ihn, macht ihn schwach und passiv. Seine mutigste Aktion ist es zwar, während einer Demonstration Flyer gegen die Regierung aus dem Fenster zu schmeißen, doch letztendlich überwiegt immer seine Angst. Ludwik ist kein Held und das weiß er. Die einzige Lösung für ihn ist die Flucht. Diese gestaltet sich aber nicht so einfach, weil in Warschau, auf der anderen Seite der Weichsel, noch jemand – Janusz, sein Freund, seine Liebe – wohnt. Homosexualität im kommunistischen Polen ist verboten, daher treffen sich die Männer heimlich, erzählen niemanden von ihrer Beziehung. Diese Situation ist für Ludwik eigentlich auch ein Grund, warum er sich endlich befreien will und zusammen mit Janusz Polen verlassen möchte. Janusz aber hat eine ganz andere Ansicht und Strategie. Ihm hat das System geholfen – als Sohn von armen Eltern aus polnischen Bergen durfte er in Warschau studieren, leben, ihm ging es bisher gut. Er weiß, mit wem man sprechen kann, um Medikamente zu bekommen oder Fleisch zu kaufen – ohne Warten, ohne Anstehen. Er ist schlau, gut informiert, selbstbewusst.

Jedrowskis Beschreibung der polnischen Realität des Kommunismus klingt sehr klischeehaft – alles in Polen ist weiß oder schwarz, die Leute sind apathisch. Nur die Jugendlichen versuchen trotzdem, das Leben zu genießen, Partys zu feiern, zu tanzen, das System auszunutzen, alle anderen haben die Hoffnung bereits aufgegeben. Die Demonstrationen sind noch nicht stark genug, die Demonstranten werden von der Polizei verprügelt oder sogar getötet. Was mir am Buch von Jedrowski aber gefällt, sind die Bilder von Warschau – eine duftende Stadt, voll von Parks, mit wunderschöner, eklektischer Architektur und geheimnisvollen Ecken, lebendig, mit eigener Energie und besonderer Stimmung.

Auch die Art und Weise, wie Jedrowski über die Liebe zwischen Schwulen schreibt, ist besonders, wobei sie manchmal ein bisschen zu rührselig wirkt. Da ist etwas Einzigartiges zwischen Ludwik und Janusz – Leidenschaft, Begehren, was auch sprachlich spürbar ist. Der Erzähler richtet sich direkt an seinen Freund, beschreibt intim ihre Beziehung. Die Geschichte ist eigentlich für ihn geschrieben: „Hast du schon mal so jemanden gehabt, einen, den du vergeblich geliebt hast, als du jünger warst? Hast du schon mal etwas empfunden wie meine Scham?“1 Der Leser hat manchmal das Gefühl, ein Eindringling zu sein und an intimen Erfahrungen teilzuhaben, die man eigentlich nicht lesen darf. Und das ist auf jeden Fall die Stärke dieses Buches.

„Im Wasser sind wir schwerelos“ ist ein queeres Buch, das in Polen anders als in Deutschland oder Großbritannien bewertet wird. In Polen ist Homosexualität immer noch ein Tabuthema. Unter der Regierung der Partei PiS verlassen sexuelle Minderheiten ihre Heimat, weil sie sich nicht mehr wohl und sicher fühlen. Es gibt sogenannte „LGBT-freie Zonen in Polen“ (und das ist leider kein Witz), also Regionen, wo alle nicht-heterosexuellen Leute offiziell nicht willkommen sind. Während der Roman von Jedrowski sehr wichtig für den polnischen Diskurs in der Öffentlichkeit sein könnte, könnte er im Ausland einfach eine „schwule Liebesgeschichte im kommunistischen Polen“ sein. Welche Perspektive ist wichtiger? Das kann man nur nach der Lektüre beantworten.

  • Herausgeber: Hoffmann und Campe, 1. Auflage 2021, 23 Euro (D)
  • Übersetzung: aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit
  • Gebundene Ausgabe: 220 Seiten
  • ISBN: 978-3-455-01117-3

1 T. Jedrowski „Im Wasser sind wir schwerelos“ Hoffmann und Campe Verlag, Auflage 1, 2021, S. 26.

One Comment Add yours

  1. Kasia says:

    Es ist leider so, dass sich die in Ansätzen vorhanden gewesene Toleranz (falls es sie je gegeben hat) in Polen aktuell zu etwas anderem entwickelt, zu etwas Gegenteiligem. Die Systeme werden härter, die Köpfe werden enger. Ich könnte es mir nicht mehr vorstellen, dort zu leben. Interessantes und sicher auch wichtiges Buch, eines, das man gelesen haben sollte. Wie wird es in Polen selbst ankommen? Man darf gespannt sein.

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