“Der Krieg spricht eine harte Sprache. Wenn er mit seiner eisernen Faust friedliche Wohnstätten zerschlägt, wenn rauchende Trümmer, heimatlos gewordene Frauen und Kinder schreckliche Anklage erheben, dann vernehmen wir die dröhnende Sprache des Krieges.”
von Annika Grützner
Jelena – Elena – Lena, mit jedem neuen Lebensabschnitt, jedem neuen Schicksalsschlag und jeder neuen Heimat verlor Elena Silber einen Teil ihres Namens und mit diesem auch ein Teil ihrer Familie. Im zaristischen Russland geboren, ist die erste Erinnerung des unschuldigen Mädchens die Hinrichtung des revolutionären Vaters. Die Familie flüchtet. Der Erste Weltkrieg folgt, der Zweite Weltkrieg ist nicht weit. Aus einem Leben werden mehrere. Am Ende lebt und stirbt sie in Berlin, verbittert, nichts von ihrer Vergangenheit erzählend. In Alexander Osangs “Die Leben der Elena Silber” (S. Fischer) will ihr Enkel Konstantin die Familiengeschichte ergründen. Aber wer war seine Großmutter?
“Da saßen, bei Kerzenlicht, seine Mutter und seine Tanten. Drei Schwestern, Tschechow.”
Der Filmemacher Konstantin ist sich der Zerbrechlichkeit des Lebens bewusst. Von Frau und Sohn getrennt, lebt er in den Tag hinein und sucht nach neuen Ideen. Als sein Vater durch Altersdemenz in ein Pflegeheim gebracht wird, wird ihm umso mehr bewusst, wie sehr ihn seine Familie prägt. Doch diese ist zerfallen. Die Antwort für die Geheimnisse, das Schweigen und die lieblose Verbindung zwischen seiner Mutter und ihren Schwestern sieht er in seiner Großmutter Lena. Als er sich auf Spurensuche begibt, entfaltet sich vor ihm ein gesamtes Jahrhundert Geschichte. Diese teilt sich in einfacher Sprache in zwei Erzählebenen. Die Leser*innen folgen Konstantin auf der Suche nach der eigenen Identität, gleichzeitig wird die turbulente Lebensgeschichte seiner Oma Lena erzählt. Die heiratete einen deutschen Ingenieur, der vor der Kriegszeit an der Modernisierung ihrer Heimatstadt beteiligt war. Doch als die Fronten sich verhärten, beginnt Lena immer stärker zwischen den Stühlen zu stehen. Ein Bruch, der sich durch ihr gesamtes Leben ziehen wird, das Gefühl der Entwurzelung, die mit dem Mord an ihrem Vater begann – und das Gefühl der Fremdheit in Berlin, mit Kindern, die zu Deutschen werden und ihre Heimat vergessen.
“Die Leben der Elena Silber” stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2019. Mühelos verknüpft Alexander Osang Vergangenheit und Gegenwart, überfordert dabei aber nicht mit zu vielen historischen Details. Der Fokus liegt immer auf den Gefühlen der Figuren. Dennoch blieben diese für mich leider blass. Auch die Geschichte konnte mich nicht wirklich überzeugen, vermutlich habe ich einfach schon zu viel ähnliche Romane gelesen. Insgesamt macht das Buch aber nichts falsch und offensichtlich hat es viele Anhänger gefunden.
- Gebundene Ausgabe: 624 Seiten, 24 € (D)
- Verlag: S. FISCHER; Auflage: 3. (14. August 2019)
- ISBN-13: 978-3103974232