Wild, frei und mutig: Drei Stimmen

Von Annika Grützner

Neben wild, frei und mutig könnte man die folgenden Texte auch als rau und ehrlich bezeichnen. Die Rumänin Lavinia Branişte, der Bulgare Toma Markov und der Georgier Surab Leschawa haben mit ihren Erzählungen hinter verschlossene Türen geblickt. Im Folgenden wollen wir euch diese näher vorstellen.

Cover_Luizza_web_ink_rz-1024x939Bulgarien, 1998: In einer nicht genannten Stadt lebt der Bühnenarbeiter und angehender Dichter Makaronov ein wildes Leben zwischen Theater und Punkrock. Im Mittelpunkt steht die Indieband überhaupt: „Luizza Hut“, benannt nach der unbändigen Leadsängerin, an die Makaronov inmitten von Alkohol und Drogen sein Herz verliert. Der Fall des Eisernen Vorhangs ist erst ein paar Jahre her, das Land steht vor einer ungewissen Zukunft, die sich auch im Alltag der Protagonisten widerspiegelt. Sie leben in den Tag hinein, denken nicht an ein Morgen. Makaronov schwänzt eher die Arbeit, als dass er hingeht, lebt in einer Wohnung, so groß wie ein Schrank und hat traditionell nie mehr als zwei „Kröten“ in der Tasche, die er in den Bars auf den Kopf haut.
Toma Markovs „Luizza Hut“ (ink press) ist eine lockere Erzählung, die von rauen Dialogen, unbarmherzigen Situationen und dem wilden Beat einer punkrockliebenden Generation getragen wird. Hin und wieder hätte der Geschichte ein wenig Tiefgang sicher nicht geschadet, aber im Großen und Ganzen bleibt „Luizza Hut“ eine Erzählung für alle, die sich in der Welt hinter der großen Musikbühne umsehen möchten.

LESHAWA_COVERSurab Leschawa könnte man anhand der Inhalte seiner Geschichten wohl als den „Enfant terrible“ der georgischen Literatur bezeichnen. Diese handeln von den scheinbaren Verlierern der Gesellschaft, von denen, die nichts haben oder auch nichts haben wollen. Seine kurzen Erzählungen, die in „Ein Becher Blut“ (Edition Monhardt) versammelt sind, führen uns in die Plattenbauen, ins Gefängnis, in die Gassen der Städte. Wir lernen ein Zwillingspaar kennen, das sich lediglich durch die Größe ihrer Penisse unterscheidet und so Lust und Leid verbreitet, einen Studenten, der sich freudig in die Arme des Psychologen stürzt, um den kalten Winter lieber in der Anstalt zu verbringen oder einen gefallenen Intellektuellen, dem nur noch ein Kühlschrank geblieben ist, den er schließlich gegen Sex eintauscht. Fäkalsprache und lockere Charaktere prägen Leschawas Schreiben und das immer mit einem Augenzwinkern. Sicher trifft der Autor damit nicht immer den Lesegeschmack, sorgt aber dennoch für kurzweilige Unterhaltung.

cover-lavinia-braniste-planet-romeo-mikrotext-2018-webDie 1983 geborene Lavinia Branişte ist die junge Stimme Rumäniens. Ihr Roman „Null Komma Irgendwas“ erschien 2018 bei Mikrotext (unsere Rezension dazu findet ihr hier), nun hat der Verlag zwei ihrer Kurzgeschichten unter dem Titel „Planet Romeo“ als 80-seitiges E-Book veröffentlicht. Beide Geschichten drehen sich um die Liebe im Alltag. Es geht um ein Pärchen, das irgendwie doch keins ist und zwischen Romantik und Streit hin und her springt, und um einen einsamen Schwulen, dessen Online-Date lieber online geblieben wäre. Die Figuren verbindet der Wunsch nach Innigkeit und Zuneigung, in einer Datingwelt, die durch Apps wie Tinder geprägt wird und in der die scheinbar besser passende Person hinter jedem nächsten Profil stecken könnte. In dieser Welt erscheint Liebe wie ein Spiel, wie Russisches Roulette, und man traut sich kaum, Gefühle zu zeigen. Branişte gibt in ihren beiden Erzählungen ihren Protagonisten eine zarte und aufrichtige Stimme.

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