Quo vadis? – das Gastland Tschechien auf der Leipziger Buchmesse

Es gibt Herausforderungen, denen man sich stellen muss. Ein Messebesuch gehört nicht dazu. Warum die Leipziger Buchmesse für das Gastland Tschechien dennoch ein Erfolg war.

von Ruben Höppner

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(C) Felix Abraham

Gestresste Menschen. Teurer Filterkaffee. Ausgefallene Mangas. Die Leipziger Buchmesse dieses Jahr war Spannung pur – aber nur auf dem Hin- und Rückweg in der überfüllten Leipziger Stadtbahn. Ansonsten kam die Messe trotz ihres ehrbaren Gegenstands – der Literatur – nicht über den Status einer gestressten, lauten und ihrem Ende entgegenfiebernden Veranstaltung hinweg. Während in den eher engen und dunklen Messehallen unterschiedlichste Verlage um Aufmerksamkeit buhlten, gab es im Zentrum der Messe – dem Glashaus – viele sehr interessante Gespräche und Diskussionen. So zog es nicht nur die bunt verkleideten Teilnehmer*innen der Manga-Comic-Con, die ebenfalls auf dem Messegelände stattfand, immer wieder in das helle Glashaus und auf die umliegenden sonnigen Wiesenflächen.

Das zweite Zentrum war der vom Architekten und Designer Martin Hrdina entworfene tschechische Nationalstand. Inspiriert durch das Motto „Ahoj Leipzig“ orientierte sich Hrdina an maritimen Visualisierungen wie Schiff und Segel; und auch die Farbgebung schwarz, rot, blau und gelb dominierte die Messe. Veranstaltet von Tomas Kubíček und Martin Krafl lernten Interessierte mehrmals am Tag, dass die tschechische Begrüßung Ahoj aus dem Religiösen stamme und ein Akronym für Ad Hominem Jesu sei und deswegen anders als in Deutschland oder Österreich mit „J“ geschrieben würde. Davon waren tatsächlich alle ein wenig überrascht, denn zu dieser These finden sich nur spärliche Belege aus den 50er Jahren. Aber daran wurde sich nicht lange aufgehalten, denn anlässlich des Gastalandes gab es ein riesiges Programm mit über 130 Veranstaltungen. Und offiziell wurde eine positive Bilanz gezogen die so klingt:

Mehr als 70 Übersetzungen und Premieren, 55 Autoren, 15 Moderatoren, 20 Übersetzer, 11 Dolmetscher im Dauereinsatz – unsere Gastland-Präsentation war ein phänomenaler Erfolg! […] Überall war unser Slogan ‚Ahoj’ zu hören. Ab der Eröffnung drängte sich das Publikum bei uns, auch die Veranstaltungen gemeinsam mit den österreichischen, schweizerischen und slowakischen Partnern sowie beim Lesefest „Leipzig liest“ in der Stadt waren hervorragend besucht.

Dem ist weitestgehend zuzustimmen. Über alle Genres hinweg wurden die zentralen Themen der tschechischen Literatur und Gesellschaft behandelt. Der Stand zog viele Interessierte an – teilweise standen die Menschen in mehreren Reihen außerhalb des für die Lesungen konzipierten „Schiffs“, konnten weder etwas hören noch etwas sehen – aber warteten trotzdem voller Begeisterung. Große Namen standen Rede und Antwort, darunter Jachým Topol, Radka Denemarková und Jaroslav Rudiš, der mit seinem Buch Winterbergs letzte Reise für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war. Aber auch Übersetzerinnen und Übersetzer spielten eine Rolle, zählen sie ja zu den wichtigsten Personen im Prozess der Kulturvermittlung. Abends wurde das Programm des Gastlandes in um einiges angenehmeren Locations fortgeführt und immer gab es die Möglichkeit, sich mit allen Kulturschaffenden auf ein Gespräch zusammenzusetzen. Und um einem hartnäckigen Klischee entgegenzuwirken – Bier stand nicht im Zentrum!

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(C) turi2.de

Aber das Leitmotiv 1989 durfte beim Auftritt des Gastlandes nicht fehlen. Daran erinnerte die Skulptur „Quo Vadis“ von David Černý, die symbolisch für die Ausreise der damaligen Botschaftsflüchtlinge steht. Doch nicht nur der Blick in die Vergangenheit spielte eine Rolle, sondern auch der Weg in die Zukunft. Viele junge Autorinnen und Autoren stellten ihre Bücher vor und wagten einen Blick in die nähere Zukunft. Wie soll das weitergehen? Das ist eine Frage die uns das laufende Jahr und die noch folgenden Veranstaltungen rund um das Gastland Tschechien beschäftigen wird.
Ein kleiner Wermutstropfen darf jedoch nicht fehlen: trotz der großen Bemühungen um Neuübersetzungen und der Präsentation von eher unbekannten Schriftstellerinnen und Schriftstellern drehte es sich in den Reaktionen außerhalb des tschechischen Nationalstandes eigentlich nur um die großen Namen. Aber mit Autor*innen wie zum Beispiel Tereza Semotamová („Im Schrank“) oder Marek Šindelka („Der Fehler“) zeigt sich, dass es in Zukunft nicht nur um die schon seit einigen Jahren bekannten Namen gehen wird.

Zu guter Letzt

Die Messe führte auch zu geschichtsträchtigen Momenten: als der Autor Pavel Kohout im Gespräch auf dem Blauen Sofa des ZDF zum Ende des Gesprächs das Wort ergreift und seinem jüngeren Kollegen Jaroslav Rudiš das Du anbietet, ist dieser für einen kurzen Moment aus der Fassung gebracht. Es gäbe eine Menge kleinerer Anekdoten zu erzählen und vor allem gibt es 55 Neuerscheinungen auf Deutsch. Aus diesem Grunde werden wir euch in den nächsten Wochen einige von ihnen hier bei Read-Ost kritisch vorstellen.
Seid gespannt!

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