Der Kurzgeschichtenband „Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich“ (dtv) des amerikanischen Autors William Saroyan versammelt Kurzgeschichten, die in den 30er Jahren, aber auch in den 40ern und 50ern in unterschiedlichen Sammelbänden und Zeitschriften erschienen sind. Als Sohn armenischer Emigranten wuchs Saroyan in Fresno, Kalifornien auf. Nach dem frühen Tod seines Vaters und aufgrund der darauffolgenden prekären Lage der Familie verbrachte er einige Zeit in einem Waisenhaus.
Als Autor von Drehbüchern, Theaterstücken und Kurzgeschichten fühlt sich Saroyan im Genre von Short Storys besonders sicher. Wie Richard Kämmerlings in seinem Nachwort zum Buch treffend erläutert, war Saroyan eine schillernde Schriftstellerpersönlichkeit, die in der Zeit der „Great Depression“ und bereits am Anfang seiner Karriere mit allem was dazu gehört ausgestattet war – Liebschaften, Arroganz gepaart mit starkem Selbstbewusstsein und ständige Sticheleien gegenüber seiner Schriftstellerkollegen. An Hemingways Erfolg arbeitete er sich stets ab.
Die untere Schicht der Gesellschaft, die diversen Migrantengruppen in Amerika und die sozial Benachteiligten interessieren ihn am meisten. Die Geschichten, die der deutschsprachige Band versammelt, umfassen verschiedene Thematiken, die alle realistisch, alltäglich und stückweit auch banal sind, aber eben in dieser angeblichen Banalität versteckt sich die besondere Ausdruckskraft des Autors. Es ist der einfache Alltag, die langweilige Routine, die den Saroyan hier besonders stark beschäftigt. Die Erzählerstimmen, die überwiegend männlich besetzt sind, repräsentieren die amerikanische Migrantenschicht. Es ist mal ein Schüler, der „Fünf reife Birnen“ klaut und dafür von dem Schuldirektor bestraft wird; mal ein Bestatter, der die Besonderheiten und Herausforderungen seines Berufs im Detail erläutert, oder ein Versicherungsangestellter, der seine Policen an amerikanische Bauern verkaufen möchte. Der Leser mag vieles in Saroyans Erzählungen durchschnittlich, gar langatmig, erscheinen. Es ist aber gerade dieses, auf den ersten Blick „Stinknormale“, dieses Alltägliche, das zugleich die Brisanz der Erzählungen ausmacht.
In der Kurzgeschichte „Siebzigtausend Assyrer“ begegnet der armenischstämmige Erzähler einem Assyrer, der in San Francisco als Friseur arbeitet. Theodore Badal erzählt ihm die tragische Geschichte dieses aussterbenden Volkes. Man liest diese Zeilen und versteht zugleich, dass Saroyan hier die armenische Leidensgeschichte und zugleich die Geschichte seiner Vorfahren miterzählt: „Das ist alles. Siebzigtausend Assyrer auf der ganzen Welt, und die Araber bringen uns trotzdem noch um. Letzten Monat haben sie bei einem kleinen Aufstand siebzig von uns umgebracht. […] Bald werden wir ausgerottet sein.“
In der Geschichte „Der Mann, der fett wurde“ lernen wir jüdische Amerikaner kennen, oder Mexikaner in der gleichnamigen Geschichte des Bandes, die uns besonders beeindruckt hat. Hier porträtiert der Autor Menschen mit besonderem Hang zur Empathie. Hier treffen zwei migrantische Gruppen aufeinander, beide sind hilfsbedürftig und versuchen im gebrochenen Englisch eine gemeinsame Sprache zu finden: Der Mexikaner Jual Gabral mit seiner großen Familie auf der Suche nach Arbeit und der Onkel des Erzählers, der zwar keine helfende Hand braucht, aber trotzdem den Mexikaner engagiert.
Das Milieu, in dem sich die Figuren der Erzählungen bewegen, ist das der Migranten – das Amerika der Einwanderer. Nicht zuletzt deshalb trifft Saroyan mit diesem Band den Nerv der Zeit und ist fast ein Jahrhundert später aktuell wie nie. Hier sprechen Figuren, die von der Gesellschaft zu einer Nationalität reduziert werden, die ständig Stellung zur eigenen Herkunft und kultureller Zugehörigkeit nehmen müssen:
„‘Badal. Sind sie Armenier?’ ‘Ich bin Armenier. Das habe ich schon öfter erwähnt. Die Menschen sehen mich an und machen sich Gedanken, also rücke ich gleich damit raus. ‘Ich bin Armenier’, sagte ich. […] Es ist eine nichtssagende Bemerkung, aber man erwartet von mir, dass ich das sage, also sage ich es.“
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit werden bei Saroyan in einer leicht spielerischen Sprache aufs Korn genommen. Die Gründe zum Hass des Anderen sind bei ihm banal und absurd zugleich:
„Armenier sind weiß. Manche sind auch schwarz, aber die sind sonnenverbrannt. Die Sonne hat schon vor Jahrhunderten angefangen, sie zu verbrennen, aber mehr muss man auch nicht hineingeheimnissen: Sie sind sonnenverbrannt. Diejenigen, die weiß sind, sind es allerdings aus einem fast ebenso nachvollziehbaren Grund. Vermutlich hat die Sonne sie nicht verbrannt. Vermutlich sind sie nicht genug an der Sonne gewesen. Aber ob schwarz oder weiß, die Menschen in dieser Stadt mochten die Manieren von Armeniern nicht. Sie mochten ihr lautes Lachen nicht.“
von Irine