“POLSKA first”: Von Europas Wunderkind zum Problemfall

Seit der Regierungswahl der rechtskonservativen PiS-Partei (Prawa i Sprawiedliwość, deutsch: Recht und Gerechtigkeit) in Polen im Oktober 2015, ist Deutschlands östlicher Nachbar regelmäßig in der internationalen Presse vertreten und dies selten mit positiven Meldungen. In noch nicht mal drei Jahren Regierungszeit wurde Polens Rechts- und Verfassungssystem massiv eingeschränkt, das ohnehin schon rigide Abtreibungsgesetz stand mehrmals vor einer weiteren Verschärfung und die internationalen Beziehungen, besonders zu westlichen Partnern, haben sich bis auf Minusgrade abgekühlt.

9783940524706Andreas Rostek, Herausgeber von „POLSKA first. Über die polnische Krise.“ und gleichzeitiger Mitverlagsgründer der edition.fotoTAPETA, in dem die Flugschrift Anfang dieses Jahres erschienen ist, hat in dieser Anthologie mehrere Stimmen und Erklärungsansätze zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation Polens versammelt. Darunter sind u. a. renommierte und bekannte Journalisten wie der ARD-Korrespondent Jan Pallokat und Konrad Schuller, die polnische Journalistin und Aktivistin Kaja Puto und der polnische Gegenwartsautor Jacek Dehnel.

Polens Europäisierungsparadox

Polen hat seit dem Beitritt in die Europäischen Union am 1. Mai 2004 wie kaum ein anderes Land von der Osterweiterung profitiert.  Dennoch herrscht in weiten Teilen des Landes die Ansicht, die EU würde Polen davon abhalten, seine eigenen wirtschaftlichen Ziele zu erreichen. Dies nennt der Journalist und Leiter des European Council on Foreign Rights Piotr Buras das „polnische Europäisierungsparadox“. Europa wird in Jarosław Kaczyńskis populistischer Rhetorik, dem eigentlichen Strippenzieher der PiS, nicht mehr als Chance, sondern als Bedrohung angesehen, schreibt Andreas Rostek im Vorwort zum Buch. Diese geschürte Angst trifft in der polnischen Bevölkerung auf fruchtbaren Boden, in deren Gedächtnis das Leiden unter den Okkupationsmächten und die Angst vor dem Verlust der eigenen Unabhängigkeit immer noch lebendig sind.

Sprache der „verbrannten Erde“

Kaczyński ist jedoch nicht der Alleinverantwortliche für die Radikalisierung der öffentlichen Diskurskultur in Polen, wie es Jacek Dehnel in seinem Beitrag treffend beschreibt. Beide Lager, sowohl das konservative, anti-europäische als auch das linke, pro-europäische, bedienen sich einer Sprache der „verbrannten Erde“, in der sich alle verbal radikalisieren und niemand mehr den Standpunkten des anderen zuhört. Bei der Buchvorstellung von „POLSKA first.“ am 30. Januar in der Hessischen Landesvertretung in Berlin äußerte Dehnel, die Legitimierung der brutalisierten Sprache sei vor allem dem Wahlerfolg Trumps und anderer nationalistisch-populistischer Parteien sowie der Entscheidung zum Brexit geschuldet und ist somit eine länderübergreifende Entwicklung.

Rechter Nationalismus nicht nur Problem älterer Generationen

Populismus und bedenklicher Nationalismus sind nicht das alleinige Problem einer älteren Generation, bei der wir hoffen könnten, dass sich der Lauf der Zeit ihrer irgendwann annimmt.

Es sind in der Tat viele junge Menschen, die vermeintlichen Nutznießer der EU-Mitgliedschaft also, die heute zu einem nicht geringen Teil rechts innerhalb des polnischen Parteienspektrums wählen, wie Kaja Puto es in ihrem Essay gelungen und präzise aufzuzeigen versucht.

Puto, die ebenso bei der Buchvorstellung in Berlin anwesend war, sieht dieses Wahlverhalten vielfältig begründet. Zum einen habe Polen in seiner kurzen Mitgliedschaft hauptsächlich die Krisen der EU, Wirtschafts- plus Flüchtlingskrise mitbekommen. Zum anderen jedoch läge Europas Attraktivität vor allem in seinem wirtschaftlichen Heilsversprechen und nicht in seinen pluralistischen und humanistischen Werten.

Ist Polen schon verloren?

Wären heute Wahlen in Polen, würde die PiS sehr wahrscheinlich wieder die Mehrheit der Stimmen erlangen. Konrad Schuller benennt auch durchaus plausibel die Ursachen für den Rückhalt den Kaczyński und seine Partei momentan in manchen Bevölkerungsteilen genießt. Die polnische Opposition habe weder ein überzeugendes Programm noch eine hervorstechende Führungsfigur, was somit zu einer Leerstelle auf dem politisch linken Lager führt. Zudem bediene die aktuelle Regierung den Wunsch vieler Polen nach einem handlungsfähigen und fürsorglichen Staat, der Tatsachen schafft.

Der Charakter dieser Flugschrift, wie es der Herausgeber im Vorwort selbst schreibt, ist es der Geschichte im Entstehen zuzuschauen und kein abschließendes Urteil oder eine Prognose abgeben zu können. Seit Veröffentlichung des Buches sind weitere Diskussionen, wie durch das „Holocaust-Gesetz“ und sehr fragwürdige Äußerungen des Nachfolgers von Beata Szydło Mateusz Morawiecki entfacht, die in dem Buch offensichtlich nicht behandelt werden können. Trotzdem ist der Band „POLSKA first: Über die polnische Krise“ ein überaus wichtiger und reflektierter Beitrag in der Auseinandersetzung mit der aktuellen politischen Lage in Polen, die vor allem in Deutschland viele Beobachter fraglos zurücklässt.

Eine Rezension von Sandra Kucmierczyk

 

  • Taschenbuch: 240 Seiten, 15 € (D)
  • Verlag: Edition.fotoTAPETA Berlin (15. Dezember 2017)
  • ISBN-13: 978-3940524706

 

 

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