Wer nach dem Stoff der Ewigkeit sucht oder nach dem Inhalt einer möglichen, findet ihn unbedingt im Generationswechsel Turgenjews! „Väter und Söhne“ ist nicht nur eines von sechs Büchern, die Hermann Hesse auf eine einsame Insel mitnehmen würde, sondern auch ein beachtliches Stück Literaturgeschichte. Das im Original heißende Buch „Väter und Kinder“ beleuchtet mit einem tränenden Auge und einem freudig-glitzernden, in vielen demonstrativen Szenen, intime Familiengeschichten. Erneuerung steht dabei im Vordergrund. Wer wird die zukünftigen Gezeiten lenken? Das familiäre Erbe bewahren? Sind es schon die am Alter krankenden Väter und Mütter des Russischen Reiches? AristokratInnen? LandärztInnen? Oder ihre jugendlich-revolutionären Kinder – NihilistInnen?
Psychologisch genau untersucht Turgenjew in seinem literarischen Werk wie die ProtagonistInnen mal miteinander mal gegeneinander die Prozesse des Überganges gestalten. Da wären zum Beispiel Arkadi, der Universitätsabsolvierende und sein Vater Nikolai Petrowitsch, der Gutsbesitzende. Während der „Alte“ noch den romantischen Versen Puschkins nachhängt und sich im Zuge der Abschaffung der Leibeigenschaft als „Farmer“ bezeichnet, verschreibt sich der Sohn dem Nihilismus, hängt an seinem Mediziner-Freund und verwirft beinahe schmähend die väterlichen Wirtschaftskonzepte. Auf der anderen Seite tritt Basarow mit seinen Eltern auf. Der Medizinstudierende strotzt nur so vor selbstsicherer Verachtung für alles Konventionelle – der unbestimmten Zukunft zu Liebe. Seine Eltern hingegen sorgen sich um ihren Sprössling immens. Die Mutter, deren vollständiges Glück mit Basarows Existenz begründet scheint, gilt als „Auslaufmodell“. Unweigerlich verlaufen die Generationswechsel unglatt. Die „Alten“ wollen noch nicht abtreten und die „Jungen“ sind noch nicht bereit, ihre Stelle einzunehmen.
Beide jungen Männer verlieben sich in die gleiche Frau. Ihre Freundschaft gerät dabei stark ins Wanken. Die junge Witwe Anna Odinzowa, die durch eine Zweckehe ihre finanzielle Absicherung sicherstellte, gehört ebenso als „Kindercharakter“ zu den „Vätern und Kindern“. Mit ihr einher geht auch die Frage der Wahl. Nicht zwischen den beiden jungen Männern, sondern zwischen dem öffentlichen Glück und dem Privatem. Wofür werden sich Arkadi und Basarow entscheiden? Und welche Rolle spielt dabei die jüngere Schwester der Odinzowa? Konfrontiert mit den Herausforderungen ihrer eigenen Zeit und den Bemühungen der Väter und Mütter, diese nicht allzu schnell hinter sich zu lassen, müssen Arkadi und Basarow Stellung beziehen. Anders als Leo Tolstoi, geht Turgenjew moralischen Wertungen und Belehrungen aus dem Weg. Den LeserInnen wird vielmehr eine Retrospektive des vorrevolutionären Russischen Reiches dargeboten, eines authentischen Generationswechsels der so oder so ähnlich stattfand und in heutige Gezeiten transferiert, weiterhin stattfindet.
Die 2017 herauskommende Fassung des Turgenjewschen Klassikers, erschien in der dtv Verlagsgesellschaft München. Ganna-Maria Braungardt, die das Werk neu übersetzte lieferte zum LeserInnenspaß eine der abenteuerlichsten Schreibweisen des Namens Goethes. Schiller und „Götte“ sei Dank! Viel Vergnügen bei der Lektüre.
von Amanda Beser