Iwan Bunins Erzählungen: “Leichter Atem” und “Ein Herr aus San Francisco”

Iwan Bunin erhielt als erster russischer Schriftsteller 1933 den Nobelpreis für Literatur. 1870 in Woronesch geboren, emigrierte er 1920 nach Paris, wo er 1953 starb. Sein Werk umfasst zahlreiche Novellen und Kurzgeschichten, ein Revolutionstagebuch sowie Reisebeschreibungen. Der Dörlemann Verlag veröffentlicht diese in hochwertiger Aufmachung und setzt dem Autor so erneut ein literarisches Denkmal. 2003 startete die Reihe mit “Ein unbekannter Freund” und zum 150. Geburtstag erschien als aktuellster Titel die Kurzgeschichtensammlung “Leichter Atem” in einer Übersetzung von Dorothea Trottenberg und mit einem Nachwort des Slawistikprofessors Thomas Grob. “Leichter Atem” umfasst 18 Erzählungen, davon 8 erstmals auf Deutsch, die Bunin kurz vor seiner Emigration verfasste. Die Zeiten des politischen Umbruchs um den Ersten Weltkrieg und die Russische Revolution sind hierbei ein starkes Motiv und lassen sich in emotionalen Ausbrüchen der Figuren immer wieder herauslesen. Eine vielseitige Sammlung, die einen guten Einblick in das Repertoire des Autors gibt.

Mit „Ein Herr aus San Francisco“ greift der Dörlemann Verlag genau diese wichtige Periode im Schaffen des Autors auf. Der Band unterscheidet klar zwischen den Publikationsjahren 1914/15, was die erstmalige Reflexion der Entstehungszeit der Bunin’schen Erzählungen in deutscher Sprache unterstreichen soll. Denn mit dem Kriegsausbruch von 1914 setzte beinahe Bunins literarisches Verstummen ein. Doch bereits im folgenden Jahr entstehen die zwei Novellen „Grammatik der Liebe“ und die namensgebende Erzählung des Bandes, von der Thomas Grob zu Recht bekennt, dass es sich bei ihr um eine der „berühmtesten und wohl auch vollendetsten“ handele. Für den Dörlemann Verlag gehört „Ein Herr aus San Francisco zu den besten Novellen der Weltliteratur.“ Gleichwohl der Wertbegriff bereits als veraltet gilt, muss der Beitrag Bunins im Maßstab der Literaturen der Welt mit seinem dekadenten Denkmal des typisierten ‚Herren aus Amerika‘ auch kritisch gegengelesen werden. So wäre es beispielsweise angebracht gewesen, im 2017 erschienen Band zumindest eine kurze Notiz über die Beweggründe der Verwendung des rassistischen N*-Wortes hinzuzufügen. Bunin verabscheute den Krieg und setzte ihm lieber seine eigene literarische Antagonismuskonzeption der ‚absoluten‘ Liebe entgegen. In „Grammatik der Liebe“ darf das Lesepublikum an den Folgen eines solchen Bandes teilhaben. Und auch die ihm wesensverwandte Tristesse der Ödnis darf bewundert werden. Ist Persephone doch Grenzgängerin. Die existenziellen Räume von Liebe, Tod und Macht sind Bunin eine inspirierende Zuflucht. Auch bieten seine Erzählungen Beschreibungen kolonialer Verhältnisse. Wünschenswert wäre dabei, dass Bunin diese Verhältnisse in seinen eigenen Interpretationen schärfer angeprangert hätte und mehr von dem supranationalen Denken visualisierte, das ihm Thomas Grob im Nachwort des Bandes attestiert.

von Amanda Beser und Annika Grützner

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