In diesem Beitrag möchten wir euch zwei Poeten vorstellen, deren Werke in der letzten Zeit erstmals in deutscher Übersetzung erschienen sind.
Die georgische Lyrikerin und Essayisten Lia Sturua (1939 in Tbilissi geboren) löste mit ihren ersten Publikationen in ihrer Heimat einen literarischen Skandal aus. Das konservative Georgien der 60er-Jahre reagierte mit Empörung auf die dichtende Frau, die sich nicht an den traditionellen Themenkanon hielt. Trotz der Kritik folgten 15 Lyrikbände und diverse Essays – mit großem Erfolg, denn mittlerweile gehört Sturua zu den großen dichterischen Stimmen des Landes und wurde u. a. zweimal mit dem wichtigsten georgischen Literaturpreis SABA ausgezeichnet. Ihre Werke setzen sich mit den gängigen Motiven der Postmoderne und der Frauenrolle inkl. ihres eigenen Standes als Dichterin in der Gesellschaft auseinander.
Mit “Enzephalogramm” ist im September 2018 als hochwertige limitierte Auflage in einer Übersetzung von Nana Tchigladze und in einer Nachdichtung des Verlegers Stefan Monhardt in der Edition Monhardt ein Sammelband erschienen, der Gedichte ihrer beiden letzten Veröffentlichungen vereint und mit ausgewählten Texten aus Zeitungen ergänzt. Enthalten sind ebenfalls die georgischen Originale.
“Manchmal gewöhnt man sich an einen Menschen,
wie an ein Ding oder an das Brot,
an die Alltäglichkeit,
manchmal entdeckt man es und läuft weg,
man will nicht, dass es gewöhnlich wird.”
(aus “Requiem”)
Mit “Notlandung” veröffentlichte der mitteldeutsche verlag im Herbst 2019 eine Sammlung aus Gedichten und Erzählungen des rumänisch-ungarischen Dichters und Schriftstellers Zoltán Böszörményi in einer Übersetzung von Hans-Henning Paetzke. Ähnlich wie Sturua gehörte auch Böszörményi zu den verkannten Künstlern seiner Generation. 1951 im rumänischen Arad geboren, erschienen 1979 und 1981 seine ersten Gedichtbände und brachten ihn in den Fokus der Geheimpolizei. Er floh nach Österreich und emigrierte später nach Kanada, wo er als Journalist arbeitete. Heute gilt er als wichtige literarische Stimme der ungarischen Literatur mit zahlreichen Veröffentlichungen und Übersetzungen in andere Sprachen. 2012 erhielt er den Attila-József-Literaturpreis.
“Notlandung” enthält ein breites Spektrum an philosophischen und naturverbundenen Gedichten. Böszörményi verarbeitet außerdem Emotionen wie Liebe und Leid, Sehnsucht und Fernweh darin. Der Titelgeber erstreckt sich dabei über 30 Seiten und steht im Mittelpunkt. Auch hier gibt es die Gedichte in der Originalsprache.
“Die Dichtung der Dinge hier ist unendlich,
Gramerfüllt, höre ich, weint der Uferbaum.
Seelenstärke lässt den Winter hinter sich,
Akazientriebe ein lichter Frühlingsraum.”
(aus “DE ARTIS POETICAE NATURA”)
von Annika Grützner