Radka Denemarková – Ein Beitrag zur Geschichte der Freude

Wir leben in einer Zeit, in der patriarchale Muster, männliche Macht und Arroganz nicht nur viel zu präsent sind, sondern auch wieder zu erstarken scheinen. Ist es also Zeit für einen Neustart?
In der Literatur steht die Schwalbe meist für einen Neuanfang – denn nicht umsonst kündigen sie uns den Frühling an. Bei Radka Denemarkovás Roman
„Ein Beitrag zur Geschichte der Freude“, 2019 erschienen im Verlag Hoffman und Campe, wird diese Symbolik entgegen der Hoffnungsmetaphorik mit dem Thema Gewalt gegen Frauen verwebt und lässt einen mit einem bitteren Geschmack zurück – denn Schwalben haben noch eine weitere Angewohnheit: Um nicht zu verhungern, ziehen sie im Herbst weg. Gibt es also Hoffnung für Frauen, die unter der männlichen Macht leiden, oder bleibt ihnen am Ende nur die Flucht? Ist ein Neustart möglich oder lässt uns sogar die Literatur allein zurück?

Von Ruben Höppner

9783455005110In ihrem neuesten Roman, der aus dem tschechischen Original „Příspěvek k dějinám radosti“ (Brünn, 2014) von Eva Profousová treffsicher übertragen wurde, wartet die Autorin mal wieder mit einem Stück qualitativ sehr hochwertiger Literatur auf. Der Roman ist eine Kriminalgeschichte, die mit einem zweiten Erzählstrang verwoben wird; dieser handelt von drei Prager Damen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Panorama der männlichen Gewalt gegen Frauen zu dokumentieren – und nicht nur das, sie greifen sogar in die Leben der unter männlicher Macht leidender Frauen ein und versuchen zu helfen. Im Grunde zeigt sich auch hier, dass Denemarková in ihren Büchern oft über das Gleiche schreibt, nur jedes Mal in einer anderen Form: über den Verlust unseres Selbst, bei dem eine Heilung kaum möglich erscheint.

„Im Vergleich zu dem Körper auf dem Boden ist der Ermittler jung, siebenunddreißig Jahre alt. Seine Arbeit macht ihm Spaß, obwohl er arbeiten muss.“ So trocken werden wir in die Geschichte des vermeintlichen Selbstmordes eines einflussreichen Fabrikanten eingeführt. Und schnell stellen sich Ungereimtheiten ein. Es wird klar, dass an dem Tod des Fabrikanten mehrere Personen Interesse gehabt hätten, und auch die Rolle der Witwe ist undurchsichtig. Die zunächst übersehenen Spuren am Tatort führen den Ermittler schließlich in das Archiv der drei Prager Damen, in dem Gewalt gegen Frauen dokumentiert ist. Gleichzeitig wird die Geschichte der Frauen erzählt, die eben kein Beitrag zur Geschichte der Freude ist, sondern anhand einzelner Beispiele von dem Leid von Frauen auf der ganzen Welt erzählt. Das Tun der Frauen bleibt zwar in weiten Teilen unsichtbar, aber sie versuchen, all die Ungerechtigkeit sichtbar zu machen und gleichzeitig in die Ereignisse der Welt auch mit radikaleren Methoden einzuwirken – fast wie ein Gegenpol gegen die männliche Gewalt, die es sich herausnimmt, einfach so über das Schicksal vieler Frauen zu bestimmen.

Die Frauen werden mit Vogelmetaphern beschrieben. Als die drei Damen beispielsweise versuchen, die junge Frau Julie zu einer Aussage gegen ihren Peiniger zu bewegen, schweigt sie:

„Singvögel im Netz gefangen, in einem Käfig eingequetscht. Sie machen ihre Schnäbelchen nicht auf, singen nicht. Auch Julie gibt keinen Piep von sich. Diana betrachtet Julie, die so oft so brutal vergewaltigt worden ist, wie Diana ihre Piepmatzen Der Flug der Schwalben von Agathe Backer-Grøndahl aufgelegt hat. Die Komposition spielte sie anstelle eines Wiegenlieds.“

Immer wieder scheinen die drei in ihrem Tun zu scheitern, wenn sie die unter Gewalt leidenden Frauen nicht dazu bewegen können, das ihnen widerfahrene Unrecht zu bezeugen. In der Vogelmetaphorik heißt es so an anderer Stelle: „Sie machen ihre Schnäbelchen nicht auf.“ Ihre Arbeit scheint regelrecht sinnlos, wäre da nicht der Mord an jenem nicht sehr frauenfreundlichen Fabrikanten …

Bei dem vorliegenden Roman handelt es sich aber nicht nur um einen Rachefeldzug dreier hartnäckiger Damen gegen sexuelle Gewalt an Frauen. Der Roman reflektiert vielmehr eine universelle Gewalt, der unserer Gesellschaft, aber eben vor allem Frauen, jeden Tag aufs Neue ausgesetzt sind. Die Geschichte ist zwar als ein Krimi angelegt, aber das ist vielleicht die größte Schwachstelle des Romans. Es gibt den ermordeten Fabrikanten, den Ermittler, eine für den Ermittler interessante Witwe und Verdächtige – ein regelrechtes Agatha Kristie-Arsenal –, doch die Krimihandlung funktioniert nicht. Sie ist zu schwach ausgearbeitet. Es wirkt, als sei sie nachträglich über die eigentliche Geschichte drübergelegt worden, um ihr dadurch Spannung zu geben. Dabei gibt es bei dieser Erzählung keine Spannung – es ist und bleibt ein schreckliches Panorama über die Gewalt gegen Frauen, und zwar nicht aus einer tschechischen oder gar europäischen Perspektive, sondern einer Schwalbenperspektive, die allein und frei über allen Kontinenten schweben und als Verbündete der drei Frauen die Verbindungen ziehen.

Immer wieder wölbt sich die Handlung aus den Seiten hinaus, genau in Richtung der Leserschaft, der Gesellschaft – Produzent und Rezipient dieser Gewalt:

„Fäuste recken sich. Der Misthaufen wächst. Hände bewerfen die zarten Federn der Wachteln und Laufhühnchen und Stadtschwalben und Goldammern und Beutelmeisen und Kohlmeisen und Blaumeisen und Pieper und Sperlinge und Kreuzschnäbel und Turteltauben und Feldtäubchen mit Mist. Wenn die Hände könnten, würden sie Steine werfen. Es ist Zeit, Steine zu werfen. Die Mistbrocken und Steine sind aggressive Wörter, ein Berg an aggressiven Wörtern und Sätzen. Wörter und Sätze bellen die Opfer an, das Gebell beteuert, die Gewalttäter hätten es gut gemeint und die Piepmatze hätten es doch gewollt. Und die kahlen Bürger und Bürgerinnen, über ihre Zeitung gebeugt, wundern sich, so etwas könne bei ihnen doch nicht passieren, und ihre Töchter am Tisch blinzeln gehorsam wie Zwinkerpuppen und schlucken artig das Frühstück hinunter.“

Sprachlich ist der Roman eindrucksvoll, auch wenn der Ton manchmal stockt, die Sprache selbst wie ein Stachel piekst, sich mit Wiederhaken im eigenen Körper verhakt und an den Rändern der Seele schabt. Aber genau das passt wohl zu dem, wovon uns Radka Denemarková mit diesem Roman erzählen will. Einer kaputten Welt kann vielleicht mit einer „heilen“ Sprache entgegnet werden, erzählt werden kann sie so jedoch nicht. Die Spuren der Gewalt hinterlässt Denemarková auch in den sprachlichen Zeichen, in den Sätzen und Wörtern.

Die Schwalben verlassen uns im Herbst, um im Frühling mit neuer Energie und Kampfbereitschaft wiederzukommen. Dieser Roman macht, wenn auch sperrig und widerspenstig, vieles sichtbar und zeigt, dass die, gegen die so schreckliche Ungerechtigkeiten verübt worden sind, nicht allein sind: Sie werden gehört, ihre Geschichten werden erzählt und das eröffnet die Möglichkeit, mit dem, und nicht gegen das Trauma zu leben.

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