Refugees Worldwide: Literarische Reportagen
Der 2017 im Wagenbach Verlag erschienene Reportagenband versammelt 14 literarische Reportagen aus 13 Ländern. Die AutorInnen nähern sich in diesem literarisch-journalistischen Genre den Themen wie Flucht, Krieg, Exil und Identität aus unterschiedlichen Perspektiven an. Jede Fluchtgeschichte ist eine individuelle Geschichte mit den individuellen Fluchtursachen, Schicksalen und Zukunftsperspektiven. Neben Nora Bossongs Text „Meine Identität ist das Exil“, Khaled Khalifas „Der Flüchtling – ein Leben in der Leere“ oder Abubakar Adam Ibrahims „Vertraut war nur noch die Erinnerung“ stellt der ukrainische Autor, Journalist und Verleger Artem Tschapa in seiner Reportage „Ewiger Transit“ den Konflikt in der Ostukraine anhand von persönlichen Gesprächen mit den s.g. „Umsiedlern“ dar. Dem ukrainischen Krieg hat er 2015 bereits eine Reportagensammlung „Wojna na tri bukwy“ (deutsch: Krieg in drei Buchstaben) gewidmet.
In Charkiw begegnet er einen jungen Vater mit seinem zehnjährigen Sohn. Sie sind aus Altschewsk und leben fast seit einem Jahr in Charkiw. Der Mann versucht mit einigen Gelegenheitsjobs als Bauarbeiter über die Runden zu kommen, doch das Geld reicht kaum für etwas. Nun stehen die beiden auf dem Bahnhof und versuchen das Geld für das Rückfahrticket nach Hause zusammenzubekommen:
„Der Vater bittet mich nicht um Geld – er holt zwei 200-Hrywen-Scheine hervor und zeigt sie mir. Die reichen aber nicht. Er bittet mich daher, ihnen die Fahrkarte nach Hause zu kaufen – und gibt mir alles, was er hat. Ich sehe den Schmerz in seinen Augen: Er ist es nicht gewöhnt, um etwas zu betteln, er fühlt sich erniedrigt.“
Der Autor spricht mit anderen Binnenflüchtlingen in der Ukraine wie die BewohnerInnen des Umsiedlerstädtchens am Rand von Charkiw. In der Ukraine sind ungefähr eine halbe Million Binnenflüchtlinge. Er interviewt dort die 29-jährige Ljudmila, die Mutter von drei Kindern ist. Sie ist wegen des Krieges und späteren Plünderungen sowie Erpressungen aus Antrazy geflohen. Eine weitere Bewohnerin namens Swetlana kam bereits 2014 in das Transitstädtchen und verdient nun ihr Geld als Reinigungskraft. Gegenüber den Umsiedlern gibt es dort starke Vorurteile. Sie werden mit dem kriminellen Milieu assoziiert und der Staat unterstützt sie mit lächerlich wenig Geld. Beeindruckend schildert Tschapa diese Geschichten, die wegen des immer noch andauernden Krieges zwar aktuell aber für die westeuropäischen LeserInnen unsichtbar sind.
Georgische Kurzgeschichten: Georgisch – Deutsch
Dieses im Buske Verlag erschienene zweisprachige Buch präsentiert eine Auswahl von georgischen Kurzgeschichten angefangen von den klassischen Autoren bis zu Erzählungen aus der georgischen Gegenwartsliteratur. Die meisten von 14 Erzählungen sind zum ersten Mal erschienen, obwohl sie von bekannten georgischen Autoren wie Nodar Dumbadse, Niko Lortkipanidse oder Rewas Inanischwili stammen. Für die deutschsprachigen LeserInnen eher bereits bekannte Autoren der georgischen Gegenwartsliteratur wie Lascha Bughadse und Beso Chwedelidse sind in diesem Band ebenfalls mit kurzen Erzählungen vertreten. Die Herausgeberin betont in dem Vorwort der Ausgabe, dass das Buch für diejenige vom besonderen Nutzen sein kann, die die georgische Sprache erlernen oder bereits vorhandene Sprachkenntnisse weiter verbessern wollen. Dies wird durch die deutschen Übersetzungen, die dem georgischen Original gegenübergestellt werden, und den Kommentarapparat bestätigt.
von Irine
In der literarischen Anthologie “Revolution Noir” stellt Julia Kissina die geballte Kraft der antirealistischen russischen Gegenwartsliteratur vor und versammelt neben sich 15 Autorinnen und Autoren, deren Kurzgeschichten von passenden Zeichnungen begleitet werden. Das Buch gibt dabei einen spannenden Einblick in die Entwicklung der russischen Literatur, weg von den großen Geschichten nach Tolstoi und Dostojewski hin zu schrägen, zynischen, einfühlsamen und unterhaltsamen Begegnungen mit Figuren, deren Erzählungen im Gedächtnis bleiben. Wir begegnen so einer Familie, die die im Sterben liegende Großmutter lieber lebendig begraben lässt, als noch länger auf deren Tod zu warten oder folgen den Überlegungen eines Landwirtschafters zu Pferden, die von innen schöner sind als von außen. Alle Erzählungen sind weit entfernt von den gängigen Klischees und bringen Spaß beim Lesen. Wer einmal einen Blick hinter die literarischen Kulissen Russlands werfen will, ist hier genau richtig!
“Abseits der Balkanroute” versammelt 23 Kurzgeschichten des Mazedoniers Branislav Gjorgjevski, die die Liebe, das Leben in der Stadt (meist in Skopje) und grob das Leben zum Inhalt haben. Zwischen Trauer und Freude schwanken die Erzählungen dieses begabten Autors, der mit seinen 31 Jahren ungeheuer viel Reife, Vielseitigkeit und Lebenserfahrung in seine Schilderungen packt. Im ersten Kapitel, das als “Antiliebesgeschichten” betitelt ist, stehen der Liebeskummer und die Gedanken an das Vergangene im Mittelpunkt. Es ist durchaus schwere Kost, die Gjorgjevski hier präsentiert und fast ist es zu viel Traurigkeit auf einmal. “Fortgehen” hat die Stadt im Mittelpunkt, die seine “Kinder” mal vertreibt und mal freudig begrüßt. Für einige bedeutet sie ein Neuanfang, für andere das Ende. Der dritte Teil “Leben und das dazwischen” ist dann wiederum ein Sammelsurium spannender Ideen, die teilweise ins Kafkaeske gehen und wunderbar unterhalten. Branislav Gjorgjevski ist definitiv ein Autor, der uns überzeugt hat und den wir uns definitiv merken werden!
von Annika