Zurab Karumidze ist einer der wenigen Autoren in der georgischen Gegenwartsliteratur, der in seinen Texten nicht vor stilistischen und programmatischen Experimenten zurückschreckt, sondern zugleich als erster zeitgenössischer Autor in einer Fremdsprache ein Romanexperiment gewagt hat. Der in englischer Sprache verfasste Roman „Dagny or A Love Feast“ wurde 2011 im georgischen Verlag Siesta veröffentlicht. Die wunderbare Übersetzung ins Deutsche, die dieses Jahr von dem Verleger Stefan Weidle realisiert wurde, folgt der 2013 beim Londoner „Dalkey Archive Press“ gedruckte Fassung. Das Berliner Publikum hatte am 17. Oktober im „Ocelot not just another bookstore“ die Möglichkeit, den Autor live während seiner Lesung zu erleben. Auf die Frage der Moderatorin und Verlegerin Barbara Weidle, warum er die englische Sprache für seine Romansprache gewählt habe, antwortete Karumidze, dass er damit die „Globalisierung von Georgien/von georgischer Literatur“ vorhabe.
Der postmoderne Roman verfolgt in seiner besten Tradition tatsächlich konsequent das Ziel, die georgische Kultur mit den west- und mittel-osteuropäischen Kulturen zu verbinden. Der Roman plädiert dafür, die georgische Kultur als einen Teil der europäischen Kulturtradition zu betrachten. In das georgische kulturelle Gedächtnis vorhandene Mythen, Legenden und Metapher werden in das gesamteuropäische Gedächtnis transportiert. Im Mittelpunkt des Romans stellt Karumidze die norwegische Femme fatale Dagny Juel, die 1901 in Tbilissi von ihrem Geliebten erschossen wurde. Ihr Grab befindet sich ebenfalls in Tbilissi und die Mythen um ihre Zeit in der georgischen Hauptstadt sind im kulturellen Gedächtnis des Landes immer noch vorhanden. Der Autor nimmt Dagnys Reise nach Georgien zum Anlass, um die Welt um die Jahrhundertwende zu zeichnen, die von fließenden Grenzen und Fluiditäten durchdrungen war. Die Zeit noch vor dem Ersten Weltkrieg scheint hier eine besondere zu sein, da diverse literarische Traditionen und kreative Ideen ineinanderfließen konnten. Karumidze verbindet in seinem Text das Gegensätzliche miteinander. Der Roman schafft es, die Figuren in die Handlung zu integrieren und sie dabei in einer gemeinsamen Geschichte zu versammeln, die sich im realen Leben nie wirklich begegnet sind. So treffen wir den bekannten griechisch-armenischen Mystiker und Esoteriker Georges Gurdjieff, den großen georgischen Dichter Wascha Pschawela und sogar den jungen Stalin, der das ganze Treiben der Boheme eher aus der Distanz wahrnimmt:
„Koba, der eines Tages Stalin sein würde, betrachtete den Vorgang von seinem Platz hinter dem Zaun aus, amüsiert von der bourgeoisen Rangelei. Diese Frau muß schon was ganz Besonderes sein! Dachte er.“
Natürlich darf dabei nicht die wichtigste georgische literarische Arbeit „Der Recke im Tigerfell“ von Schota Rustaweli fehlen. Die, wie sie im Roman genannt werden, „schamanische Individuen“ versammeln sich um die Muse Dagny und treten so miteinander in Kontakt. So sinniert Pschawela gemeinsam mit Gurdjieff über dieses und jenes und Dagny verzettelt sich immer mehr in den Affären, was letztendlich fatal für sie enden soll.
„Dagny oder ein Fest der Liebe“ ist eine Liebeserklärung an das intellektuelle Treiben am Anfang des 20. Jahrhunderts in Georgien. Ein wahrer Hingucker ist das Buch auch durch die Covergestaltung von Levke Leiß, die durch ihre besondere Technik beeindruckende Buntstiftzeichnungen schafft.
Von Irine