“Die Geheimnisse von Leben und Tod verbanden sich zu einem dämonischen, disharmonischen Akkord.”
Über das Leben im Gulag gibt es zahlreiche Augenzeugenberichte, Romane und Biografien. Was die vielen Strafgefangenen erleiden mussten, ist für uns nur schwer vorstellbar und würde ohne die Beschreibungen wohl eher in Kategorien fallen, die wir nicht glauben könnten und lieber als Fiktion verorten würden. Sergej Maximow versammelt in “Taiga” (mitteldeutscher verlag, übersetzt von Christine Hengevoß) 23 kurze Erzählungen, die teils autobiografisch sind und den Alltag in den Lagern wiedergeben.

In der Taiga können Menschen zu Tieren werden. Sowohl Gefangene als auch die, die sie überwachen. Man nimmt ihnen den Besitz, die Moral und die Ehre. Sie werden misshandelt, gefoltert und umgebracht. In der eiskalten Steppe vermischt sich der düstere Anblick der trostlosen Natur mit dem Gefühl des Ausgeliefert-Seins. Die Männer und Frauen, die hier leben, gelten für das Regime als Verbrecher. Einige sind es auch, haben gestohlen, vergewaltigt und gemordet, doch der Großteil gehört zu der Gruppe der angeblichen Revolutionäre, wurde als Verräter oder Spione verhaftet und in den Gulag geschickt, wo sie umerzogen werden sollen. In den 23 Geschichten kommen wir ihnen näher. Erfahren von ihren Gedanken und Gefühlen, von ihren Hoffnungen, Träumen und Ängsten. Und von der Ausweglosigkeit, durch die viele lieber die fast unmögliche Flucht durch die karge Steppe in Betracht ziehen, als weiter im Lager zu bleiben. Oder davon, wie sie versuchen, sich nach der Freilassung, als Verurteilter und Feind des Staates gebrandmarkt, ein neues Leben aufzubauen. Die schweren Jahre in der Taiga, die von harter Arbeit, Krankheit und Hunger geprägt sind, hinterlassen Spuren, die nie wieder verschwinden. So trägt jede Erzählung in “Taiga” eine finstere und ausweglose Wahrheit mit sich.
Sergej Maximow, 1916 in einem Dorf an der Wolga geboren, wurde 1936 nach einer leichtfertigen Äußerung selbst als angeblicher Revolutionär verhaftet und zu fünf Jahren Lagerarbeit verurteilt. Nach seiner Freilassung verschlug es ihn nach Deutschland und später in die USA, wo er 1967 als psychisch kranker und alkoholabhängiger Mann starb, der aufgrund seiner Biografie zeitlebens nicht in seiner Heimat publizieren durfte. Erst 2016, zu seinem 100. Geburtstag, erschien die Erzählsammlung “Taiga” auch in Russland.
von Annika Grützner
- Herausgeber : Mitteldeutscher Verlag; 2. Aufl. Edition (16. November 2020), 20 € (D)
- Übersetzung: Christine Hengevoß
- Taschenbuch : 304 Seiten
- ISBN-13 : 978-3963113819