Georgien. Eine literarische Reise
Im Jahr 2017 reisten auf Einladung von Nino Haratischwili sechs georgische und sechs deutschsprachige AutorInnen in unterschiedlichen Regionen Georgiens. Diese Reiseeindrücke sind nun pünktlich zur Frankfurter Buchmesse zum Gastlandauftritt Georgiens in der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen. „Reisen und Schreiben haben für mich etwas Wesentliches gemeinsam: die Verschiebung der Perspektive, etwas Neues zu erkennen. […] Man ist plötzlich fähig, Dinge, Geschehnisse, Erlebnisse in ein ganz anderes Licht zu rücken und dadurch etwas zu begreifen. Über sich und vielleicht auch über die Welt.“, stellt Nino Haratischwili in ihrem Vorwort zum Buch treffend fest und viele Autoren kommen diesen Gedanken in ihren Texten näher. Die collageartigen Illustrationen von Julia B. Nowikowa, die zuvor bereits Nino Haratischwilis „Das achte Leben. Für Brilka“ und ihren frisch erschienenen Roman „Die Katze und der General“ gestaltet hat, verleihen den Texten auch visuell einen individuellen Charakter.
Archil Kikodze ist gemeinsam mit Lucy Fricke nach Tuschetien gereist, während Tamta Melaschwili mit Ulla Lenze nach Kachetien gefahren ist, Katja Petrowskaja wiederum hat zusammen mit Abo Iaschaghaschwili Kasbek besucht und viele mehr. Daraus entstanden sind Texte, die sich keinesfalls an das klassische Genre des Reisetextes angliedern, sondern sich vielmehr dem Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Es sind ja schließlich verschiedene Reisetypen, die hier ihr bereits bekannte oder völlig unbekannte Gegenden bereisen. Während Katja Petrowskaja („Unter zerrissenen Wolken“) hoch in den Bergen angekommen die Geister der klassischen Kaukasusreisenden herbeischwört, reist Lucy Fricke („Don’t smoke on the horse – Eine zu kurze Reise durch Tuschetien“) eher als eine unfreiwillig, ihr gemütliches Nest widerwillig verlassene Wandernde, die an der Seite des erfahrenen Bergreisenden Archil Kikodze („Tuschetien – Berg und Gedächtnis“) nach und nach immer mehr der beeindruckenden Natur Tuschetiens und dort lebenden Menschen erliegt. Fern von der Zivilisation entdecken sie das Leben in den Bergen oder beobachten beispielsweise in Omalo den aufsteigenden Tourismusboom.
Klassischerweise wird in den Texten immer viel gegessen, getrunken und gesungen – die Besonderheit der georgischen Tafel eben. Immer wieder wundert man sich darüber, dass in den georgischen Bergen immer noch nur Männer am Tisch zusammen mit den Gästen sitzen und feiern, während die Frauen zugleich eher im Hintergrund agieren. Es sind diese Perspektiven, die sich oft ein bisschen in das Exotisierende, oder besser gesagt, auf das Missverstehen von Dingen stützen. Insgesamt meistert das Buch aber doch erfolgreich diese Hürden, wozu wiederum die Texte der georgischen Schriftstellerkollegen maßgeblich beitragen.
Die AutorInnen Reisen in die Geburtsstadt von Stalin in Gori, in die georgische Hauptstadt Tbilissi oder auch nach Batumi am Schwarzen Meer. Während Fatma Aydemir den Geist der Tbilisser Nachtlebens einfangen will und in Abanotubani die Spuren der islamischen Kultur verfolgt, erzählt Nestan Nene Kvinikadze eine sehr persönliche Geschichte, die sie mit der Stadt verbindet. „Georgien. Eine literarische Reise“ ist ein lesenswertes Buch geworden, das beim Lesen nicht nur starke Reiselust weckt, sondern sehr intensiv und klug über das Reisen und Schreiben, über das „Fremde“ und über die Begegnung mit diesem „Fremden“ nachdenkt.
von Irine
Tbilissi: Stadt der warmen Quellen, Metropole zwischen Europa und Orient. Die Hauptstadt Georgiens ist eine wahre kulturelle Fundgrube. Im Laufe der Jahrhunderte haben viele Stämme hier ihre Spuren hinterlassen. Der Architekturübergang vom asiatischen Stil zu modernen Glasfassaden ist heute fließend. Tbilissi besitzt einen ganz eigenen Flair, dem im Laufe der Zeit auch viele Künstlerinnen und Künstler erlagen. In „ Zug nach Tbilissi – Ein Lesebuch“ (Suhrkamp) vereinen die Herausgeber Alexander Kartosia und Eduard Schreiber verschiedene Texte zur Stadt und runden diese durch Fotografien ab, sodass ein buntes Stadtbild voller Entdeckungen entsteht.
„Die Stadt war nichts weniger als unterhaltend, aber ein kleiner Winkel war da, zu dem wir wieder und wieder zurückkehrten, den zu besehen wir nicht müde wurden; das war das asiatische Viertel“, beschreibt der norwegische Autor Knut Hamsun sein Tbilissi, das ihn durch den schillernden Basar führt und ihn in eine andere Welt versetzt. Der deutsche Schriftsteller Oskar Maria Graf berichtet vom „Steppenwind“, der die Stadt mit „Gipsstaub“ übersät. Und der russischsprachige Journalist und Autor Isaak Babel erzählt von seinem Alltag als junger Mann und den Versuchen, in der Stadt der Einsamkeit zu entkommen. In Prosa, Gedichten und Reportagen schreiben Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt von ihrem persönlichen Tbilissi, von der Schönheit der Stadt, seiner Geschichte, den Gefahren und der kulturellen Vielfalt.
Ob Paris, New York oder Wien, Tbilissi steht in keinem Vergleich zu den großen Weltmetropolen, die in so vielen Lesebüchern geschätzt werden. Mit der vorliegenden Ausgabe gibt es die Einladung, eine Stadt literarisch zu entdecken, die vielleicht noch nicht ganz so viele erreicht, aber dennoch schon so viele inspiriert hat. „Zug nach Tbilissi“ ist dadurch so empfehlenswert. Besonders spannend wird es natürlich dann, wenn man direkt vor Ort die beschriebenen Stellen sehen kann, doch auch als literarische Sehnsucht kommen alle mit dem Buch auf ihre Kosten.
„Ich werde wiederkommen! Zurückkommen.“
von Annika