Begegnung im Eis: „Die Suche nach der letzten Zahl“ von Juri Rytchëu

3293207995Das Ewige Eis: Viele Mythen ranken sich um die einstigen großen Polarexpeditionen, die ihre Schiffe gen Norden oder Süden steuerten, um beispielsweise die Nordwestpassage zu finden. Roald Amundsen gilt als einer der wichtigsten Forscher seines Gebietes, über den zahlreiche Bücher geschrieben wurden. In „Die Suche nach der letzten Zahl“ (Unionsverlag) beschreibt der tschuktschische Schriftsteller Juri Rytchëu eine besondere Begegnung des norwegischen Seemanns mit den Einheimischen an der tschuktschischen Küste im Nordosten Russlands, die auf wahren Begebenheiten basiert.

 

Es ist das Jahr 1918: Mit dem Ziel, den Nordpol zu bezwingen, sticht der Polarforscher Roald Amundsen mit seiner Mannschaft in See, doch ihr Schiff bleibt nicht weit von der russischen Küste im Eis stecken. Hier stoßen sie auf eine kleine Siedlung der Tschuktschen, die fernab von der Zivilisation ein einfaches und naturverbundenes Leben führen. Schnell knüpfen beide Seiten die ersten Kontakte, besonders mit dem Schamanen Kagot, den Amundsen als Koch anheuert. Im gemeinsamen Winter lernen beide Seiten viel voneinander, werden jedoch auch mit ihren kulturellen Unterschieden konfrontiert. Mitten in das scheinbar friedliche Zusammensein platzen Beamte aus der russischen Hauptstadt, denn die Russische Revolution soll auch so weit entfernt von den politischen Strömungen ihr Wirken zeigen – in Form einer straffen Organisation des Dorfes, dem Aufbau einer Schule und Eingliederung in das Proletariat.

Rytchëu, 1930 geboren und der erste Schriftsteller seines nur zwölftausend Menschen zählenden Volkes, erzählt uns von einer kurzen gemeinsamen Zeit, über die Amundsen in seinen Tagebüchern berichtete und die bis heute in Überlieferungen der Tschuktschen zu finden ist. In „Die Suche nach der letzten Zahl“ treffen der Forscherdrang Amundsens, für den die Welt ein großes Abenteuer ist, und die Kultur der Einheimischen aufeinander. Es ist eine Begegnung zweiter komplett unterschiedlicher Zivilisationen, die er zum Leben erweckt und in Erinnerung ruft. Als dritte Schnittstelle sorgen die Vertreter der Russischen Revolution zusätzlich für ein „kulturelles Pulverfass“, dennoch bleibt das Aufeinandertreffen friedlich. Für einen kurzen Winter vermischen sich so Lebenslinien, die noch jahrzehntelang später spürbar sind.
Juri Rytchëu (2008 in St. Petersburg gestorben) wurde durch seine Romane und Erzählungen zu einem Schutzpatron der bedrohten Kultur der Tschuktschen. In „Die Suche nach der letzten Zahl“ gibt er spannende Einblicke in das tägliche Leben des indigenen Volkes, das von dem Glauben an Naturgötter bestimmt wird. Kagot, als Schamane des Dorfes, repräsentiert die Tschuktschen als Mittler zwischen Himmel und Erde, während Amundsen als starker Kontrast die westliche Welt darstellt, die aus wirtschaftlichen und politischen Interessen die Welt umsegelt.

„Die Suche nach der letzten Zahl“ ist ein Roman, der uns für kurze Zeit an einen Ort bringt, der für die meisten nicht weiter entfernt sein könnte und der uns ein Leben zeigt, das oft am seidenen Faden hängt – bestimmt durch die Natur. Gleichzeitig öffnet er das Bewusstsein für die bedrohten indigenen Völker des Nordens. Mit seinem Buch leistet der Autor einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Tschuktschen, die als starke Gemeinschaft besteht.

  • Taschenbuch: 352 Seiten, 13,95 € (D)
  • Verlag: Unionsverlag
  • Übersetung aus dem Russischen: Charlotte und Leonhard Kossuth
  • ISBN-13: 978-3-293-20799-8

Annika

 

 

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