„Das Hühnerparadies“ des Rumänen Dan Lungu erschien im Original 2004 und im Residenz Verlag 2007. Der „falsche Roman aus Gerüchten und Geheimnissen“ gibt Einblicke in das Leben einer postkommunistischen Provinzstadt. Was kann sich hier schon alles in einer ruhigen Straße abspielen? Sehr vieles! Denn zwischen den alten Schuppen und neuen Wohngebieten trifft man sich nicht nur in der doch recht improvisierten Kneipe „Zerknautschter Traktor“, um dem Alkohol zu frönen, sondern auch, um Klatsch und Tratsch auszutauschen – und davon gibt es schließlich auch hier mehr als genug. Denn eigentlich ist auf dem Schauplatz von Dan Lungus Hühnerparadiesgeschichten immer etwas los und wenn nicht, dann kann es schon einmal passieren, dass die Protagonisten sich ausgiebig mit der Wohneinrichtung des berüchtigten Obersts befassen. Typischer Dorfklatsch? Oh ja! Auch in der Provinzstadt wird so eine Mücke zum Elefanten.
Schon mit seiner ersten Erzählung gibt Lungu die Essenz des Dorflebens wieder und lädt zum Schmunzeln, Lachen und Kopf schütteln ein. In den humorvollen Passagen schwingt allerdings immer auch die Kritik an der Politik und der Gesellschaft mit. Die Bewohner trauen sich nicht, ihre Häuser zu renovieren, da diese für den Bau von neuen teuren Wohnblöcken eh immer kurz vor dem Abriss stehen, während die Kinder in den Röhren spielen, die jedes Jahr für die Kanalisation abgeladen, dann aber vergessen werden. Es ist das Bild des großen Wandels, das hier vermittelt wird. Das Alte muss weichen und das Neue kommen – doch das Neue lässt auf sich warten und so leben die Bewohner immer am Rand des Existenzminimums, wenn die nächstgelegene Firma billigere Arbeitskräfte einstellt oder sogar komplett zumacht. Und auch die improvisierten kleinen Bauernhöfe im Vorgarten können den zunehmenden Verfall nicht aufhalten. Wenn ein Ehepaar sich nichts mehr zu sagen hat, weil die Ehefrau immer überlegen muss, wie betrunken ihr Ehemann schon sein könnte und was sie daraufhin überhaupt sagen kann, ist die Erzählung zwar unterhaltsam, macht allerdings auch auf die Probleme aufmerksam, mit denen viele Vorstädte kämpfen, die einmal industrieller und kultureller Mittelpunkt waren und dann verlassen wurden. Die Männer vertreiben sich in diesem Beispiel dann die Tage mit dem Alkoholkonsum, während die Frauen, hinter geschlossenen Gardinen verborgen, alles beobachten und kommentieren, was in der Straße vor sich geht.
Dan Lungus „Das Hühnerparadies“ kann auf viele Arten gelesen werden, ob kritisch und mit Blick auf die gesellschaftlichen Probleme oder auch rein mit dem Wunsch nach Unterhaltung – alles hat seine Berechtigung. In seinen Kurzgeschichten präsentiert der Autor ein Kaleidoskop aus illustren Gestalten, unkonventionellen Orten und unglaublichen Begegnungen.
„Das Hühnerparadies“ ist Dan Lungus drittes Buch, das auf Deutsch erschienen ist. Zuvor veröffentlichte der Residenz-Verlag bereits „Wie man eine Frau vergisst“ und „Die rote Babuschka“ . „Klasse Typen: Kurzgeschichten“ ist bei Drava erschienen.
- Gebundene Ausgabe: 208 Seiten, 9,90 € (D)
- Verlag: Residenz; Auflage: 1 (18. September 2007)
- Übersetzung: Aranca Munteanu
- ISBN-13: 978-3701714834
Annika