„Die schönen Fremden“, „Anthrax“ und „Wie von Bacovia“: Der rumänische Schriftsteller Mircea Cărtărescu versammelt in seiner Kurzgeschichtensammlung „Die schönen Fremden“ (Zsolnay) aus dem Frühjahr 2016 einen wilden Mix aus Schriftsteller(selbst-)kritik, Franzosenbashing, Vorurteilen gegenüber Rumänien und sehr viel Humor. Der Autor nimmt hier kein Blatt vor den Mund und lässt die Leser an drei Stationen seines Lebens teilhaben, die so oder so passiert sind.
Mittelpunkt der Geschichten ist der Titelgeber „Die schönen Fremden“. Als Teil der „Dutzendschriftsteller“ reist Cartarescu hier nach Frankreich, um u.a. in Paris, Le Havre und Bordeaux die rumänische Literatur vorzustellen. Doch was als Kulturreise geplant war, artet schnell in Klischees und Enttäuschungen aus. Der Autor spürt die Konkurrenz um die anderen Literaten und kämpft sich viele kulturelle Fettnäpfchen. Die Vorstellung des „Wilden Ostens“ wird hier auf die Spitze getrieben und man will laut lachen oder aufschreien, wenn Cartarescu und seine Gefährten mit absurden Bildern und Gerichten konfrontiert werden. So hat beispielsweise der französische „geschickte[r] wie enthusiastische[r] Autor […] aus Unachtsamkeit große Flecken von Bulgarien, der Ukraine und Moldawien dem rumänischen Staatsgebiet eingegliedert, sodass einem danach war, wie das berühmte Kind in irgendeiner Lesefibel auszurufen: `Es lebe unser pummeliges Rumänien!´“
Dass Rumänien so viel mehr als die gängige Folklore ist, können sie in den drei Wochen nur schwer vermitteln. Cartarescus Antwort ist die Kapitulation und die Sehnsucht nach seiner Familie im fernen Bukarest.
“Einerseits wollen wir zeigen, dass wir moderne Menschen sind, perfekt europäisch, und andererseits sagen wir allen, unser Reiz und unsere Eigenarten lägen darin, dass wir primitive Hirten geblieben sind, verkleidet in Jeans bon Diesel und Hemden von Tommy Hilfiger, nach Fahrenheit duftend, damit man den Gestank des Schafstalls nicht riecht…“
Die Angst vor Giftbriefen Anfang der 2000er ist Gegenstand der Geschichte „Anthrax“, indem der Autor einen verdächtig gefüllten Brief aus Dänemark erhält – was sich in diesem befindet, sei nicht verraten. In gewohnter Manier nimmt sich Cărtărescu auf die Schippe und gibt Einblicke in seine angegriffene Psyche, die über so viel geplante Berühmtheit durch seinen neuen „Verehrer“ ganz überrascht ist.
Auch die dritte Erzählung „Wie von Bacovia“ spielt mit den Motiven des Schriftstellerruhms, rumänischen Klischees und dem Wunsch nach einem großen Publikum. Cărtărescu – zu einer eher mäßig erfolgreichen Lesung in das rumänische Hinterland eingeladen und anschließend von den Veranstaltern zu einer urkomischen Reise zu den wichtigsten Kulturorten in der Nähe „entführt“ – lässt sich wie auch in Frankreich ganz in sein Schicksal fallen und öffnet so die Türen für Situationen, die so eigentlich nur ausgedacht sein können.
Hier und da stolpert man in „Die schönen Fremden“ über die vielen rumänischen SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und PolitikerInnen, die Cărtărescu einbindet. Sie werden immer kurz vorgestellt und spielen teilweise auch in Frankreich eine größere Rolle. Vorwissen ist sicher hilfreich, aber glücklicherweise nicht notwenig. Wer bei den Namen ein großes Fragezeichen vor Augen hat, dem vermitteln die Texte so wie bei mir den Wunsch nach mehr rumänischer Literatur – natürlich insbesondere der von Mircea Cărtărescu, von dem in deutscher Übersetzung bereits mehrere Romane erschienen sind und der als einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren seines Landes gilt. Der Verlag selber bezeichnet die drei Erzählungen als „die ideale Einstiegsdroge für Cărtărescu-Entdecker“, dem kann ich nur zustimmen: Mein Interesse ist geweckt und die Leseempfehlung groß!
- Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag (1. Februar 2016)
- Übersetzung:
- ISBN-13: 978-3552057647
- Originaltitel: Frumoasele straine
Annika
Danke für diese Rezension! Das will ich lesen.
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