Mit dem Roman „Royal Mary“ gewann der junge georgische Autor Abo Iaschaghaschwili 2015 den wichtigsten literarischen Preis Georgiens – den Saba. Iaschaghaschwili hat bereits drei Romane veröffentlicht und „Royal Mary. Ein Mord in Tiflis“ ist sein erstes Buch, das nun auch auf Deutsch beim Berliner Verlag edition.fotoTAPETA erschienen ist. In Georgien wird der Autor oft mit dem populären, georgischen Schriftsteller Aka Morchiladze verglichen. Die „bösen Zungen“ sprechen sogar von der schlichten Nachahmung von Morchiladzes Prosa, aber in den Zeiten der „absoluten Intertextualität“ und der ständigen Vernetzung und Verschmelzung aller denkbaren Texte der Welt sollte dieser Kritikpunkt nicht allzu Ernst genommen werden. Wie in den Romanen von Aka Morchiladze, so ist auch in der Prosa von Iaschaghaschwili das 19. Jahrhundert die magischste und spannendste Zeit in der georgischen Geschichte und insbesondere der der Hauptstadt Tiflis dar. Tiflis ist hier der Ort des blühenden Multikulturalismus und der Multiethnizität. Die besondere Atmosphäre der Stadt gleicht dem steten Karnevaltreiben mit Kostümen und Masken aus aller Welt.
Iaschaghaschwili verschiebt mit diesem Roman stückweit die Perspektive vom europäischen Zentrum in die peripheren Räume Europas. Tiflis ist hier die Stadt, in der sich die führenden Mächte Europas aufeinandertreffen. Das Chaos der Stadt eignet sich bestens für die unauffälligen Tätigkeiten der Geheimagenten verschiedener Nationalitäten. Tiflis lebt auch nach den mysteriösen Morden und nach geheimnisvollem Verschwinden des besten Rennpferdes Royal Mary – des Pferdes, das als Geschenk für den persischen Schah gedacht war – sein gewohntes Leben weiter. Georgier, Armenier, Russen und die jüdische Bevölkerung der Stadt, die mit dem klassischen Antisemitismus zu kämpfen hat, leben und arbeiten hier miteinander.
Der elegante Franzose Louis Albre nimmt die Lösung des Falls um das gestohlene Pferd auf sich und liebt es dabei, das Chaos der Stadt zu beobachtet: „[…] alles war ständig in Bewegung und die Vielfalt der Charaktere in dieser gar nicht so großen Stadt Tiflis doch beachtlich.“ Wie in der besten Tradition von klassischen Kriminalgeschichten wird der Franzose durch seinen Assistenten Chripli unterstützt. Dieses an Sherlock und Watson erinnernde Paar verfolgt die Spuren der Fälle, die sie zunächst zum griechischen Stallknecht Apollon Chrisantidis, zu Mamed Ali Oglu und u.a. zu dem deutschen Reisenden Friedrich Grimmelshausen führen. Die geheimnissvolle Mordfälle werden mit jedem Tag verwobener, und es scheint fast so, als ob der Shisha-Rauch aus den Kaffeebuden des Schaitan-Basars, auf dem sich Taschendiebe, Räuber, Gauner und Schwindler aufhalten, nun die ganze Stadt durch seinen Nebel gehüllt hatte. Noch komplizierter wird es mit dem Besuch des Shahs und den weißen und roten Rosen, die auf den Mordplätzen gefunden werden.
„Royal Mary“ ist mit viel Witz und Humor geschrieben. Als Leser folgt man gerne den Hauptfiguren des Romans in den dunkelsten und verdächtigsten Ecken der Stadt, die vieles zu verbergen haben. Der besondere Schreibstil von Iaschaghaschwili, in dem er teilweise die Sprache der damaligen transnationalen Stadt imitiert und rekonstruiert, ist mit der deutschen Übersetzung zum größten Teil verloren gegangen. Andererseits wäre die ideale Übertragung des spezifischen georgischen Kolorits ins Deutsche aber auch fast undenkbar. „Royal Mary” ist eine erfrischende, spannungsvolle und heitere Lektüre, die die LeserInnen mit seinem karnevalesken Treiben mitreißt und eine verlorene Welt des 19. Jahrhunderts auf eine kreative und authentische Weise wieder zum Leben erweckt.
von Irine
Originalausgabe: აბო იასაღაშვილი: როიალ მერი. დიოგენე, 2015.