„Licht an! Juden, es ist ein Pogrom! Licht an!“: Moyshe Kulbak – Montag. Ein kleiner Roman.

cover_kulbak_mail-250x423.jpgDer weißrussisch-litauische Autor Moyshe Kulbak schrieb Anfang des 20. Jahrhunderts in jiddischer Sprache. Der hauptsächlich als Dichter bekannte Kulbak veröffentlichte auch Romane wie das dieses Jahr beim Berliner Verlag edition.fotoTAPETA erschienene Buch „Montag. Ein kleiner Roman.“ Dieses wunderbar aus dem Jiddischen ins Deutsche von Sophie Lichtenstein übertragene schmale Buch leistet vieles auf diesen wenigen Seiten.

Die Oktoberrevolution und deren Einflüsse auf das osteuropäische jüdische Leben ist die politische Folie, die den Roman und das Leben der Protagonisten bestimmen. Im Zentrum der Erzählung steht die Figur des Hebräisch-Lehrers Mordkhe Markus, der exemplarisch die mit der Revolution und der nachfolgenden Umwälzungen in den jüdischen Gemeinden von Weißrussland erfolgte Wandlung beschreibt und zugleich über diese Veränderung reflektiert. Die ersten Schüsse auf der Straße, die er aus seinem Dachkämmerchen in der Zeit der Revolution wahrnimmt, fallen dann, als er sich in der Stille in das Buch Hiob vertieft. Zwar bleibt der auf den ersten Blick von der Außenwelt eher distanzierte Mordkhe den revolutionären Wellen fern, trotzdem wird aus seiner „Fensterperspektive“ die Revolution am ehesten erfahrbar. In einer Passage beschreibt Kulbak folgende Szene:

„Am anderen Ende des Marktplatzes, weit entfernt, ertönte eine Stimme… Die Masse rührte sich kaum, und auf einmal erscholl ein Schrei, wie aus einem Grab, sodass sich einem das Herz zusammenzog und niemand, niemand wusste, dass es so etwas gibt: REVOLUTION.“

Kulbak zeichnet Figuren, die Natürliches und Übernatürliches auf eine beeindruckende Weise miteinander verbinden. Die Schwester Stesye und Gnesye, die im Roman als „Feldmesserinnen“ bezeichnet werden, werden als wunderliche Gestalten der Stadt dargestellt. Die poetische Sprache, in der Kulbak das Leben dieser Figuren beschreibt, überzeugt durch ihre Einfachheit und geschickte Komplexität, in der die grundsätzlichen philosophischen Fragen des menschlichen Daseins behandelt werden. Hier verschmilzt sich miteinander eine gewisse Melancholie, die den jüdischen Alltag und die jüdische kulturelle Tradition bestimmen. Mordke wird als jüdischen Seismografen der Zeit im Roman stilisiert. Die Revolution, die einerseits die Befreiung des Proletariats mit sich brachte, aber zugleich eine unsichere Zukunft für die jüdische Bevölkerung seiner Stadt sichtbar machte, blieb für ihn ein schwieriges und undurchschaubares Phänomen.

Kulbak zeichnet mit diesem Roman als einer der Ersten in jiddischer Sprache schreibenden Autoren das Leben seiner Gemeinde und wirft die Fragen auf, die erst später an ihrer Intensität gewinnen. Er spricht schon in den Anfangsjahren der kommunistischen Ordnung Problematiken und Zweifel an, die in den 30er Jahren die bittere Realität werden. Die Realität, die unter anderem das Leben des Autors Kulbak im negativen Sinne bestimmt. 1937 wird er in Minsk verhaftet und wenig später nach einem stalinistischen Schauprozess hingerichtet.

von Irine

Moyshe Kulbak (2017): Montag. Ein kleiner Roman. Aus dem Jiddischen Sophie Lichtenstein. Berlin: edition.fotoTAPETA. 

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